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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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Luft öffnete. Augenblicklich röteten sich seine Wangen. »Schön, dass du gekommen bist«, sagte er. »Ich habe Lust auf einen Schluck.«
    Er zog seine Uniformjacke an und hängte sich den Urinbeutel außen an die Hose. Dann gingen wir hinunter in die so genannte Cafeteria. Mein Vater legte die Hand an den Mützenschirm, als er den Raum betrat. Die Cafeteria war eine winzige Espressobar am Ende des großen Innenhofes, der wohl das ehemalige Atrium des Klosters gewesen war und dessen sonnenbeschienene Mitte jetzt von gläsernen Kabinen entweiht wurde, in denen man sich für verschiedene Krankendienste wie Röntgenbestrahlung und dergleichen anmelden konnte. Die kleine Bar war ein Fremdkörper in dieser sonst so sterilen Welt. Zwar wurde der Espresso in Plastikbechern ausgeschenkt, ebenso wie die zahlreichen Alkoholika, aber er war von hervorragender Qualität. Den Ausschank hatte ein junger Mann unter sich, der wie ein dicker Ministrant aussah. In dem winzigen Raum, der zum Atrium hin offen war, durfte geraucht werden. Meistens herrschte drangvolle Enge, denn die Säufer und Genusssüchtigen entkamen in diesem Raum der Lüste dem antiseptischen Klima des Gebäudes. Ganz in der Nähe führte eine Treppe hinab in die Pathologie und die Leichenhalle. Manch ein Blick der Säufer folgte den Trägern, die hier hin und wieder einen zugedeckten Körper auf einer Bahre hinabtrugen.
    Mein Vater war der Held in diesem Etablissement. Er unterhielt alle mit seinen wilden Erzählungen. Fast immer ging es um Weibergeschichten. In der überhitzten, rauchgeschwängerten, von kranken, verunstalteten Männern gefüllten Enge des Raumes geisterten die obszönen Anekdoten meines Vaters von Ohr zu Ohr und verbreiteten eine fast fromme Atmosphäre von Lebenstrieb.
    Diesmal hatte er etwas in einer Plastiktüte dabei, das er mir stolz zeigte. Es war sein Logbuch des Lebens, wie er es nannte. Ein dickes Buch voller handschriftlicher Eintragungen. Vieles verschlüsselt, manches sah aus wie Zeichen aus der Kabbala.
    Er erklärte mir einige Eintragungen. Es ging um »Erlebnisse«, wie er es nannte. Frauen, große Weine, herausragende Menüs, aber auch einfache Dinge wie eine Pizza Margherita, die das gewisse Etwas gehabt hatte. Außerdem kamen Bücher vor und Landschaften, Blicke von Hügeln aufs Meer. Ein bestimmter Olivenhain, in dem ihn das Zusammenspiel von Licht und Schatten verzückt hatte.
    Mein Vater war kein dummer Mann, trotz seiner oft penetranten Selbstdarstellung. Das tröstete mich. Vieles von dem, was er sagte, lohnte sich, aufgeschrieben zu werden. »Dies Büchlein wird leider das Einzige sein, was du von mir erbst, mein Junge«, sagte er. »Vielleicht wird dir die Lektüre manchen Irrweg ersparen, zum Beispiel den, bei der Liebe auf die Treue des Weibes zu bauen.«
    Es war erschreckend mit anzusehen, wie er in letzter Zeit verfiel. Die große Hitze draußen, die trotz Jalousien auch von den Krankenzimmern Besitz ergriff, tat ein Übriges. Mein Vater wurde mehr und mehr zu einem lebenden Toten. Seine Haut verfärbte sich wächsern, sein Körper krümmte sich immer stärker. Er nahm jetzt häufig zwei Krücken statt einer zur Hilfe, wenn er über die Gänge schlurfte.
    Weder die Schwestern noch die Assistenzärzte konnten mir Auskunft geben, worin seine Krankheit eigentlich bestand. Er selbst klagte über alles Mögliche. Über Schmerzen in der Leistengegend, über Halsschmerzen, über Schwerhörigkeit, über Verdauungsbeschwerden. Jetzt, als er neben mir in der Cafeteria stand und ein Glas billigen Rotwein trank, fühlte ich mich mutig genug, ihn auf seine Leiden anzusprechen. »Deine Krankheit ist dein Alter«, sagte ich. »Warum gehst du nicht in ein Altenheim?«
    »Bin ich verrückt? Dann könnte ich gleich Selbstmord begehen. Außerdem brauchen mich die Ärzte, ich gebe ihnen das Gefühl, mit ihrer Kunst etwas ausrichten zu können. Sie heilen mich zwar nicht, aber sie bringen mich auch nicht um.«
    Er grinste und schlug mit der Krücke nach einer Spinne, die in einer Ecke der Bar ein Netz baute. Er war plötzlich wieder ganz der Alte. Ich glaube, ich liebte ihn inzwischen, aber es war eine hilflose, eine ungeschickte Liebe, denn ihr Gegenstand entzog sich ihr immer wieder durch seine unsympathischen Eigenschaften.
    So pflegte sich mein Vater permanent über mich lustig zu machen. Dabei ging es fast immer um das Thema Frauen. Auch diesmal war es so. »Weißt du«, sagte er, »du musst dich damit abfinden, dass dir die Frauen

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