Rom kann sehr heiss sein
immer wieder weglaufen. Du bist einfach zu weich, zu nett. Frauen tun zwar meistens so, als ob sie das mögen, aber in Wahrheit finden sie es viel attraktiver, gedemütigt zu werden. Das steckt tief in ihnen drin. Soll ich dir die Gründe erklären? Sie haben in ihren Geschlechtszellen zwei X-Chromosomen, Männer hingegen je ein X- und ein Y-Chromosom. Das macht den ganzen Unterschied. Frauen sind auf Harmonie aufgebaut und lieben deshalb die Disharmonie. Bei Männern ist es genau umgekehrt. Sie haben einen Frauenanteil in sich, der ihnen ständig in die Quere kommt. Ich hoffe, den Gentechnikern gelingt es irgendwann, Geschlechtszellen mit zwei Y-Chromosomen zu basteln. Dann haben wir endlich richtige Männer.«
Er war bei seinem Lieblingsthema gelandet. »Wusstest du, mein Kleiner, dass man bei den meisten Serienmördern eine genetische Absonderlichkeit festgestellt hat? Sie haben ein Y-Chromosom zu viel! Ich glaube manchmal, auch ich habe zwei Y-Dinger in meinen Gameten.« Er begann zu kichern und gab mir mit der Spitze einer seiner Krücken einen Schubs. Dann fuhr er mit erhobener Stimme und in sorgfältig artikuliertem Italienisch fort: »Die Frage, inwieweit unser Schicksal genetisch bedingt ist, ist entscheidend. Ihre Beantwortung hat ungeheure Bedeutung für die Moral. Wenn wir nichts anderes sind als ein Spielball unserer Erbanlagen, dann gibt es keinen Grund mehr, einen Mörder zu verurteilen, einen Krieg zu verdammen. Fast sieht es tatsächlich so aus, als ob der freie Wille eine Fiktion der Philosophen ist. Mussolini konnte nicht anders, weil er genetisch auf sein Schicksal festgelegt war. Doch haben wir eine völlig neue Situation, wenn es der modernen Genwissenschaft gelingt, die Erbprogramme in uns umzuschreiben. Dann trägt sie plötzlich die Verantwortung für Moral und Einzelschicksale.«
Er ließ sich sein Glas nachfüllen und begann zu schreien: »Bald wird Schluss sein mit der natürlichen Fortpflanzung, die in Wahrheit widernatürlich ist. Schluss mit der widerlichen Begattung von schleimigen Spermien und Eizellen. Was kommt dabei heraus? Ein Haufen unkontrollierte Scheiße. Schaut euch doch bloß an, was für Jammerlappen und Lachnummern ihr seid! Ein Panoptikum der entarteten Natur. Lauter Chimären, Schweine mit Wasserköpfen, einbeinige Krüppel mit Gesichtern wie zugenähte Säcke!«
Die Umstehenden begannen zu murren, aber sie schienen solche Ausbrüche meines Vaters zu kennen und nicht allzu übel zu nehmen. Mein Vater senkte die Stimme und fuhr mit Verschwörermiene fort: »Aber ich sage euch, die Genforschung wird diesen Augiasstall von Menschheit gründlich ausmisten. Sie wird den freien Willen endlich einführen in die dumpfe Vererbungswelt der Menschen. Niemand wird sich mehr auf seine Gene herausreden können, wenn es der Wissenschaft gelingt, den genetischen Code nach ethischen und politischen Gesichtspunkten zu manipulieren. Was manche als Fluch betrachten, als perversen Eingriff in die göttliche Schöpfung, ist in Wahrheit ein Segen für die Menschheit.«
Wieder begann er zu schreien. »Aber für manche kommt dieser Fortschritt zu spät! Für euch zum Beispiel! Darum ab in die Pathologie mit euch! Möget ihr möglichst schnell auf dem Misthaufen der Geschichte landen!«
Seine Stimme wurde ruhiger, während er fortfuhr. »Signori, es ist leider so, wie es ist. Menschen sind Amphibien, die ihren Sumpf oder Teich im Inneren tragen. Frösche laichen im flachen Wasser. Die Feuchtigkeit des Milieus ist unbedingt nötig, damit die Eier und die Samen miteinander verschmelzen können. Das Gleiche findet im Unterleib einer Frau statt. In der Vagina, dem Uterus begegnen sich Samen und Ei und verschmelzen. Wie widerlich! Dies ist der Sumpf, die Lache, die Wasserstelle, an der das Wunder der Menschwerdung geschieht. Frauen sind nach innen gestülpte Sümpfe, Männer sind Kaulquappen, die ihre Schwänze in diesen Sümpfen verlieren. Sie sind Schmarotzer, die sich bislang immer noch einbilden können, für die Fortpflanzung nötig zu sein.«
Jemand begann zu lachen, ein anderer rief Bravo und gab eine Runde für alle aus. Mein Vater bekam rote Backen. Er trank abwechselnd Grappa und Weisswein, während sich für alle sichtbar sein am Bein befestigter Urinbeutel zu füllen begann. Nicht alle im Raum schienen mit den Thesen meines Vaters einverstanden zu sein. »Ich bin kein Schmarotzer. Ich habe mein ganzes Leben von meiner Hände Arbeit gelebt«, sagte ein kleiner, beinamputierter Mann.
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