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Rom kann sehr heiss sein

Titel: Rom kann sehr heiss sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Bo tius
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aufgeregter Südländer, für den die Übertreibung eine Form der Präzisierung ist. Aber ich habe meine Gründe. Bach gilt als kühler Notenkonstrukteur, als Mathematiker der Fugentechnik. Das ist alles Unsinn. Ich habe nicht lange gebraucht, um herauszufinden, dass unter seiner Musik ein Vulkan der Gefühle lauert, der mit jeder Note, jeder Umkehrung, jedem Krebs zum Ausbruch kommen kann.«
    Wir tranken Campari Soda. Die Deckenleuchter brannten, obwohl draußen das kalkige Licht des heißen Tages leuchtete, und tauchten den im Stil der Belle Époque gestalteten großen Salon in goldfarbene Dämmerung. Um uns herum ein Publikum, dessen Tracht fast durchweg aus den Armanianzügen der Abgeordneten und Banker bestand.
    »So stelle ich mir den Widerschein des Fegefeuers vor«, sagte Einar, der meine Gedanken erraten zu haben schien. »Schönes Licht, das keine klar erkennbaren Schatten wirft. Die Sünder zwischen Hoffnung und Verzweiflung.« Er wies auf die Umsitzenden. »Was macht HUBRO? Bist du schon weitergekommen?«
    »Ich habe für morgen eine Audienz bei Falsini. Er will mit mir über meinen Vater reden. Merkwürdig, dass er mir dieses Gespräch förmlich aufgedrängt hat.«
    »Ein interessanter Mann. Beschreib ihn mir.«
    Ich tat mein Bestes. Einar hörte aufmerksam zu. Dann sagte er: »Ich entnehme deinen Worten, dass du diesen Mann insgeheim bewunderst. Du beschreibst ihn wie einen Heiligen. Eine starke Persönlichkeit offenbar. Ein Heiliger oder der Teufel, jedenfalls kein lebender Kompromiss. Wir sollten mehr über seinen familiären Hintergrund wissen. Ist er verheiratet?«
    »Ja. Ich habe mich bereits erkundigt. Sie heißt Cecilia. Wie die Heilige. Sie ist Chefin einer Immobilienagentur. Sie wohnen irgendwo in den Albaner Bergen wie viele reiche Römer, die nach Feierabend Wert auf gute Luft legen.«
    »Und Nina? Hast du noch Kontakt mit ihr?«
    »Ja, inzwischen kommt sie wieder häufiger. Wir telefonieren auch oft. Sie wirkt sehr bedrückt, aber sie sagt nichts über die Gründe.«
    »Vielleicht spürt sie, dass sie dich nicht wirklich interessiert. Du denkst an Dale, wenn du mit ihr zusammen bist, stimmt's?«
    Ich starrte vor mich hin. Auf der weißen Tischdecke tanzten kleine braune Punkte, ein Gestöber von winzigen Flecken, die an Dales Sommersprossen erinnerten. Ich hörte Einars Stimme wie aus weiter Ferne: »Bring sie doch mit ins Konzert. Vielleicht macht ihr eine Ablenkung Spaß. Außerdem würde ich die Dame gerne kennen lernen. Das Konzert beginnt um neun. Also treffen wir uns am besten um acht auf dem Campo dei Fiori. Ich schlage vor, an der Statue Giordano Brunos, die genau dort errichtet wurde, wo man ihn verbrannt hat.«
    »Ich weiß. 1600. Er hat nicht widerrufen. Mein Vater hat mir erzählt, dass man die Statue vom Gebäude der päpstlichen Verwaltung aus sehen kann.«
    »So ist es. Vom Palazzo della Cancelleria. Aber glaube mir, dort wird keiner Scham empfinden. Im Gegenteil. Im Angesicht der Schande arbeitet es sich besonders gut. Das war schon immer so. Übrigens, nicht nur das Konzert ist interessant. Wir haben vor seinem Beginn noch die Möglichkeit, im Palazzo Spada Borrominis Kolonnade zu besichtigen. Ein Meisterwerk der Illusionskunst, wie du sehen wirst. Es liefert ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür, dass in dieser seltsamen Stadt Illusion und Wirklichkeit eine unheilige Allianz eingehen. Wahrscheinlich ist auch die Arbeit der Parlamentarier hiervon betroffen. All diese edlen Anzugtypen verbergen etwas unter ihren Kaschmirstoffen. Dummheit, Fanatismus, Raffgier, Mafiastrukturen, Opus Dei. Ehrlichkeit ist in Rom eine Vokabel, die an Plumpheit nicht zu überbieten ist. Darum ist der Vatikan hier auch so gut und glaubhaft platziert. Frömmigkeit als raffinierte Illusionstechnik. Der Papst ein genialer Gaukler. Wahrscheinlich gehört er zu den größten Atheisten überhaupt. Wenn er abends im Bett liegt, kreuzt er die Finger, wie wir es als Kinder hinter dem Rücken getan haben, um heimlich zu verkünden, dass wir nicht meinen, was wir sagen. Das Kreuz als eine Rune der Aufhebung.«
    Ich griff zu meinem Mobiltelefon und rief Nina an. Sie meldete sich sofort. »Hast du Zeit, heute Abend ein Konzert zu besuchen? Die Cellosonaten von Bach. Im Palazzo Spada. Vorher Besichtigung von Borrominis Kolonnaden. Ich bringe einen Freund von mir mit.«
    Ihre Stimme klang traurig, aber sie sagte zu. »Sei bitte gegen halb acht bei mir«, sagte ich. Dann legte ich auf.
    Einar lächelte.

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