Roman
noch die Rettungsleine war, die mich am Leben erhielt. »Du bist so ein Arschloch.«
Jim lässt seine Finger knacken und nickt. Er atmet jetzt ruhiger. »Aber ich bin ein Arschloch, das sich nun viel besser fühlt.«
»Hättest du nicht noch zehn Sekunden warten können?«
»’tschuldigung.« Er seufzt und lässt sich schwer aufs Bett fallen. »Weißt du, es ist gar nicht so schlimm. Also ein Vampir zu sein. Eigentlich ist’s sogar ’ne ziemliche Schau.«
»War es Absicht bei dir? Vampir zu werden, meine ich.«
Er starrt an die Decke. »Schwer zu sagen. Es ist irgendwie passiert. Ich hab mich einfach nur treiben lassen, verstehst du?«
»An was erinnerst du dich?«
»Ich erinnere mich daran, dass die Doors auf der Bühne waren und spielten. Hat das ganze Konzert gedauert, bis ich tot war. Sie haben sich Zeit gelassen. Haben sich abgewechselt.«
»Die Doors?« Wer hätte das gedacht …
»Nein, die Vampire.«
Ich lege die Finger um das jeweilige andere Handgelenk und fühle meinen Puls. »Wie fühlt sich das an zu sterben?«
»Für mich war’s total psychedelisch. Aber wahrscheinlich ist es nicht anders als bei jedem anderen Trip: Man bekommt das raus, was man reinsteckt. Ich meine: rein spirituell gesehen.« Jims Miene ist unergründlich. »Wenn’s passiert, sorge ich dafür, dass es dir nicht wehtut.«
Ich lache auf; das Lachen klingt bitter. »Nicht wehtut. Nur tötet, schon klar.« Jim wirkt ehrlich betroffen. Also füge ich hinzu: »Aber danke, dass du bei mir geblieben bist und bleiben willst.«
Er winkt ab. »Das, was du unten in Gideons Höhle zu ihm gesagt hast – dass wir alle Menschen sind … war das ernst gemeint, oder war das nur Gerede?«
»Ich hab’s ernst gemeint. Aber nach dem, was mit Elizabeth passiert ist, weiß ich nicht mehr, was stimmt und was nicht. Vielleicht hab ich mir umsonst den Arsch abgearbeitet.«
Diese Formulierung scheint Jim zu verwirren. »Na egal, jedenfalls danke dafür, dass du dich für uns eingesetzt hast.« Einen Augenblick hält er nachdenklich inne, dann funkelt er mich unter zusammengezogenen Augenbrauen an. »Dann bist du in Wahrheit also gar keine lausige Pokerspielerin?«
23
You Can’t Lose What You Ain’t Never Had
»Willkommen in Gideons Refugium! Du musst Ciara sein. Ich bin Ned. Ned Amberson. Willkommen in Gideons Refugium! Hatte ich das schon gesagt? Dann, weil du hier wirklich willkommen bist.«
Der kahlköpfige junge Mann mit den saphirblauen Augen schüttelt mir unentwegt die Hand. Sein fester Griff zeugt von Selbstbewusstsein, ist warm und daher hundert Pro menschlich. Lawrence steht mit dem Kahlkopf vor der Tür zu Jims und meinem Zimmer.
»Genau die richtige Zeit für einen kleinen Rundgang!« Ned gibt mir mit einer Geste zu verstehen, in den Gang voranzugehen. Derweil versetzt Lawrence Jim einen Stoß, der ihn zurück ins Zimmer befördert. Die Bewegung hat die arrogante Beiläufigkeit eines Türstehers, der einen nicht genug aufgestylten Kunden abwehrt. Dann schließt er die Tür ab, und die Proteste des jüngeren Vampirs sind nur noch gedämpft zu hören.
Ned plaudert fröhlich weiter, während wir an einer Reihe verschlossener Türen vorbeigehen. »Ich habe schon so viel über dich gehört. Ich bin überzeugt, du passt wunderbar zu uns. Und – was hast du so gemacht, ehe du hierhergekommen bist?«
Er redet, als wäre mein Beitritt zu dieser Gemeinde schon abgemacht. Typische Verkäufertaktik: Immer so tun, als ob der Kunde das Produkt bereits gekauft hat – und zuerst die Wahl hatte. Ich werfe einen Blick über die Schulter und sehe Lawrence uns im Abstand von wenigen Schritten folgen.
»Oh, keine Sorge«, meint Ned aufgeräumt. »Er wird uns nicht überallhin folgen können. Die Sonne ist schon lange aufgegangen. Hier, möglicherweise möchtest du gern einen Abstecher hier hinein machen.« Er bringt mich zu einer Tür mit dem vertrauten Zeichen für Damen. Dankbar schlüpfe ich hinein.
Als ich wieder herauskomme, beginnt Ned seine Führung. Er geht rückwärts, während er spricht. »In diesem Stockwerk befinden sich, wie du ja schon weißt, unsere Gästezimmer. Singles auf der Westseite …«, er deutet hinter sich, »Paare und Familien auf der Ostseite.«
»Familien?«
»Kinder sind willkommen, ebenso Haustiere, jedenfalls solange sie keinen Ärger machen.«
»Die Haustiere oder die Kinder?«
Ohne auf meine Frage zu antworten, öffnet er eine Tür auf der linken Seite des Ganges. »Über ein Punktesystem können
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