Roman
Fernsehers flimmern noch Werbespots, als wir dort ankommen. Ned winkt mir von der anderen Seite des Raumes aus zu. Ich schaue mich nach dem weißhaarigen Mann um, den ich am Morgen hinter der Schiebetür gesehen habe. Aber soweit ich das beurteilen kann, sind Ned und ich die einzigen Menschen unter etwa einem Dutzend anderer Existenzen hier. Außer Lawrence haben sich vor dem Fernseher die Frau eingefunden, die sich heute Morgen auf dem schmalen Kuschelsofa an dem jungen Mann gütlich getan hat, und Gideons andere Leibwächter, Jacob und Wallace.
Aber wo ist …
»Guten Abend.«
Ich fahre zusammen. Gideon steht genau hinter mir. Er muss uns unmittelbar gefolgt sein.
»Ich hoffe, du hast dich ausgeruht«, sagt er.
Unter Aufbietung meiner ganzen Selbstbeherrschung vermeide ich, eingeschüchtert zu wirken, als ich ein paar Schritte zur Seite mache. Jim legt beschützend den Arm um mich, eine beinahe brüderliche Geste. Vor ein paar Minuten noch hätte mir seine Berührung glatt den Magen umgedreht. Aber verglichen mit dem Rest hier (Ned eingeschlossen) wirkt Jim richtig menschlich.
Die Werbung hört auf, und die Nachrichtensprecher wenden sich, statt weiter befreundet zu tun, dem Publikum an den Bildschirmen zu. Ich kneife die Augen zusammen, um auf dem winzigen Bildschirm die Blondine zur Linken zu erkennen, Monica Soundso, die die neuesten Meldungen verkündet:
»Sie haben vorgegeben, Vampire zu sein. Aber jetzt tanzen sie zu einer anderen Musik. Letzten Monat hat ein hiesiger Radiosender einen bisher einzigartigen Twist aufs Parkett respektive die Radiowelle gelegt. WVMP – das Herzblut des Rock ’n’ Roll.« Bilder von Spencer, wie er während der Party im Smoking Pig Musik auflegt, werden eingeblendet, während Monica ihren Text bringt. »Die Moderatoren, die jeweils eine Musiksendung zu einem Jahrzehnt Popmusik betreuten, hatten behauptet, echte Vampire zu sein. Michelle Sims ist für uns live in Sherwood.«
Die erste Kameraeinstellung zeigt den WVMP -Sendeturm. Dieser Shot reicht schon, und ich habe einen Kloß im Hals. Die Kamera fährt den Sendeturm hinunter. Die nächste Einstellung zeigt die Korrespondentin, wie sie mit David vor dem Sender steht. »Danke, Monica. Ich stehe hier mit David Fetter, dem Geschäftsführer von WVMP . Mister Fetter, Sie haben sich entschlossen, den Vampir-Werberummel auf dem Höhepunkt der Kampagne zu beenden. Warum?«
David fokussiert die Fernsehreporterin. »Wir haben uns mit ein paar Fans auseinandersetzen müssen, die die Sache ein wenig zu ernst genommen haben. Wir wissen ihren Enthusiasmus durchaus zu schätzen. In dem Moment aber, als man unsere Moderatoren unablässig verfolgte oder sie gar mit Pflöcken bedrohte, fanden wir es an der Zeit, die Kampagne zu beenden. Sicherheit geht nun mal vor.« Trotz seines ironischen Lächelns spricht David mit schwacher, blecherner Stimme. Das liegt nicht nur am Lautsprecher dieses antiken Fernsehers. Es ist noch nicht ein ganzer Tag vergangen, seit er einen Pflock aus der Frau ziehen musste, die er geliebt hat.
Die Reporterin zeigt hinauf in den strahlend blauen Himmel über ihr.
»Können Sie denn den Beweis antreten, dass die Moderatoren von WVMP keine Vampire sind?« Sie grinst verschmitzt in die Kamera. »Wie wäre es, wenn Sie die DJ s für ein Interview herausbitten würden?«
David schüttelt den Kopf. »Momentan sind alle mit Produktionsabläufen innerhalb des Senders beschäftigt. Ein Moderator hat sehr viel mehr Arbeit, als nur die paar Stunden Text während der Sendung ins Mikro zu sprechen.«
»Das Ganze würde nicht länger als eine Minute dauern. Wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht einen der Herrschaften für ein Interview herauslocken können.« Ms. Sims winkt dem Kameramann, ihr zu folgen, während sie schon auf die Tür zusteuert.
Davids Miene verdüstert sich, hellt sich dann wieder auf und wirkt mit einem Mal durchtrieben. »Warten Sie!« Als Michelle Sims sich zu ihm umdreht, neigt er den Kopf in ihre Richtung, als wolle er ihr ein Geheimnis anvertrauen. »Wollen Sie die Wahrheit hören? Die volle Wahrheit?«
»Aber selbstverständlich!«, antwortet sie, und ihre Augen funkeln.
»Uns bedrohen keine Möchtegern-Vampir-Jäger, die Pflöcke schwingen. Die eigentliche Gefahr geht von einer rivalisierenden Vampir-Gang aus, die in einem Bunker in der Nähe von Camp David lebt. Diese Vampire glauben, unsere Werbekampagne bedrohe die Anonymität, die den Vampiren das Überleben ermöglicht.«
Mir
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