Roman
Nickerchen sein, ansonsten wäre ich vor allem ein sehr müder Mensch.« Na großartig: Jetzt rede ich auch noch Müll! Außerdem erwähne ich zum zweiten Mal mein Schlafzimmer, ohne dass eine Reaktion von Shane kommt.
Er greift auch nicht nach seinem Bier. Er starrt die Sonnenaufgänge an. Ich nutze die Gelegenheit und studiere sein Profil, zumindest den Teil, den ich unter seinem Haar erkennen kann. Er hat scharf geschnittene Züge, ein energisches Kinn; seine Nase gleicht einer Sprungschanze – ein perfekter Neigungswinkel mit einer leichten Aufwärtsbewegung am Ende. Wäre meine Nase eine Sprungschanze, sämtliche Skispringer würden herunterstürzen und einen tragischen Tod erleiden.
Ich räuspere mich. »Wenn du lange genug bleibst, kannst du den Sonnenaufgang hier selbst bewundern.«
Er blickt mich an, mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Ich kann nicht bis Sonnenaufgang bleiben.«
Seine Sendung, klar. »Du musst ab drei arbeiten, richtig?«
»Richtig. Arbeiten.« Er lässt den Blick durchs Wohnzimmer schweifen. »Wo ist denn deine Anlage?«
Dieses Mal sage ich es so selbstverständlich und beiläufig, wie ich nur kann: »In meinem Schlafzimmer.«
»Oh.« Er konzentriert sich wieder ganz auf das Fotoalbum. Aber seine Hände zittern, und während er die Seiten umblättert, zeigt er den Fotos gegenüber keinerlei Reaktion.
Na, dann mal los!
»Möchtest du gern sehen, was ich so zu bieten habe?«
Er schaut auf.
»Musiktechnisch«, füge ich rasch hinzu.
Eine ganze Weile mustert er mein Gesicht, so, als sei er sich nicht sicher, was es dort zu sehen gibt. Etwas an mir beunruhigt ihn, aber vielleicht auf eine gute Art.
Seine Hand streift meine. Ein Prickeln durchfährt mich. Ich gebe ein Geräusch von mir, das halb wie Husten, halb wie Schluckauf klingt. Ausgesprochen anziehend.
Ich stehe auf und gehe in Richtung Flur. »Hier entlang bitte«, sage ich, so geschäftsmäßig wie ein Fremdenführer auf Sightseeing-Tour.
Ich durchquere das dunkle Schlafzimmer und knipse die Nachttischlampe an. Sie verströmt lediglich gedämpftes Licht. Das Letzte, was ich möchte, ist, mein verwahrlostes Leben dem harten Licht der Deckenleuchte auszusetzen.
»Auch hier keinerlei Kreuze«, versichere ich Shane mit einem nervösen Lachen.
Er setzt sich auf den Boden vor das Regal mit meiner CD -Sammlung und begutachtet diese. »Deine Sammlung ist ganz schön hip.«
Ich winde mich innerlich bei diesem längst überholten Slangausdruck. Dann streife ich meine Schuhe ab und lege mich quer aufs Bett, am Fußende – mein Kopf genau da, wo Shane sitzt.
»Die sind ja durcheinander.« Er greift sich einen großen Stapel meiner CD s.
»Was machst du da?«
»Ich ordne sie.« Er beginnt meine CD s auf kleine Stapel zu verteilen. »Alphabetisch, ja, ist das okay?«
»Also, ehrlich, du musst jetzt wirklich nicht …«
»Ich fang zuerst mal alphabetisch an. Vielleicht können wir sie ja später noch nach Stilrichtungen umsortieren.«
Shane muss, so scheint es, den Abschnitt in Die Wahrheit über Vampire gelesen haben, in dem es um pathologisch zwanghaftes Verhalten ging. Er zieht die Show also konsequent für mich durch, was auch den Gebrauch des Wörtchens hip erklären würde.
Plötzlich hält er inne und betrachtet eine CD in seinen Händen. Die Foo Fighters.
Ich versuche, mich nützlich zu machen. »Das kommt unter F.«
»Dave Grohls neue Band«, haucht er.
»Na, neu ist anders.« Sollte er das nicht wissen? »Wirklich anders.«
»Er war der Drummer von Nirvana.«
»Ich weiß. Ich habe schließlich auch in den Neunzigern gelebt!«
»Ich auch«, sagt er mit einem leicht bitteren Unterton.
»Willst du die jetzt gern hören?«
»Nein.« Er legt die CD weg, als könnte sie hochgiftig sein.
»Dann leg was anderes auf. Irgendwas schön Entspannendes.« Womit ich eigentlich etwas Verführerisches meine. Trotz all seiner seltsamen Eigenheiten kann ich nicht aufhören, Shane anzuschauen. Ich frage mich dabei, wie er wohl von einigen anderen Positionen aus aussehen mag.
Shane legt Nirvanas Unplugged auf.
Nach kurz aufbrandendem Applaus pulsieren die ersten Akkorde akustischer Gitarre von About a Girl durch mein Schlafzimmer. Shane hört einen Augenblick lang zu. Dann dreht er die Lautstärke herunter.
»Du hältst mich für verrückt«, sagt er ruhig und schaut mich dabei nicht an.
»Nein, ich halte dich für komisch. Aber der Witz bringt es langsam nicht mehr.«
»Ich nehme dir nicht übel, dass du es nicht glaubst
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