Roman
tätschele seinen Arm, der sich durch den Ärmel seines Hemdes kalt anfühlt. »Nur keine Sorge, in ein paar Wochen wissen es alle. Aber Lori sollte bei der Sache den Gute-Freundin-Vorsprung haben.«
»Vorsprung bei was?« Loris Augenbrauen wandern in die Höhe, während sie mein Glas am Zapfhahn füllt.
»Shane ist ebenso wie alle anderen DJ s bei WMMP ein Vampir.«
Lori lacht kurz auf und lässt den Blick zwischen uns beiden hin- und herwandern. »Kapier ich nicht.«
»Das ist Bestandteil unserer neuen Marketingstrategie. Du weißt doch sicher, dass jeder DJ eine Sendung moderiert, in der es um eine fest umrissene Musikepoche geht, nicht wahr? Unserer Idee nach ist das so, weil es die Musik aus der Zeit ist, zu der jeder von ihnen noch gelebt hat! Daher haben sie eine ganz besondere, sehr enge Verbindung zu dieser Musik.«
Lori stellt das Glas Bier vor mich auf die Theke. »Endgeile Idee!«
»Es wird noch besser! Hast du schon mal was vom Club 27 gehört?«
»Geht’s dabei nicht um diese unheimliche Sache, dass jede Menge berühmte Sänger mit siebenundzwanzig Jahren gestorben sind? Wie Jimi Hendrix und Janis Joplin?«
»Und Jim Morrison, Kurt Corbain …«
»Robert Johnson, Brian Jones von den Stones, Al Wilson von Canned Heat«, zählt Shane auf. Seine Stimme ist leise; die Worte kommen nur zögerlich über seine Lippen. »Pigpen von Grateful Dead, Pete Ham von Badfinger, Wallace Yohn von Chase, Gary Thain von Uriah Heep, Helmut Köllen von Triumvirat, Jimmy McColloch von den Wings, Dennes Boon von Minutemen, Mia Zapata von den Gits und Kirstin Pfaff von Hole.«
»Wow!« Lori scheint beeindruckt und ein wenig nervös gemacht von Shanes zur Schau gestelltem Wissen. Sie entfernt sich ein paar Schritte von uns, um mit einem Lappen die Spüle blank zu wischen. »Okay, und was hat das mit eurer neuen Marketingstrategie zu tun?«, fragt sie mich.
»Folgendes: Jeder dieser DJ s ist gestorben und wurde zum Vampir, als er siebenundzwanzig war.«
»Ah so.« Sie blickt Shane prüfend an. »Also, wie alt wärst du dann wirklich?«
Shane versucht ein Lächeln. »Na ja, ich bin neununddreißig.«
»Es war meine Idee.« In gekonnter Perfektion werfe ich mit einer fließenden Kopfbewegung mein Haar aus der Stirn. »Wir haben sogar TShirts machen lassen.«
»Das ist brillant! Die Leute werden voll drauf abfahren!« Sie keucht auf und wirft den Lappen auf die Thekenkante. »Wir sollten eine Kick-off-Party hier im Pig schmeißen. Wir ziehen uns alle an wie Goths und servieren blutrotes Bier. Das wird wie Halloween im Juni!«
Ich zeige auf Lori und blicke Shane herausfordernd an. »Weißt du jetzt, warum sie meine beste Freundin ist?«
Lori gibt mir einen High Five über die Theke hinweg. Dann hechtet sie zum Telefon neben der Kasse. »Ich rufe Stuart an. Schau’n wir mal, ob er dafür zu haben ist. Ist schließlich immer noch sein Laden hier.«
Als sie außer Hörweite ist, wende ich mich wieder Shane zu. »Siehst du? Einfach alle werden es für einen Werbegag halten!«
Langsam schiebt er sein Pint gegen mein Glas, weiter und weiter, bis es sich bedrohlich der Kante der Theke nähert. »Das ist einer der Momente, in denen ich mich frage, warum ich dich mag.«
Ich fange mein Glas ab, ehe es kopfüber über die Kante geht. »Weißt du denn eine Antwort darauf?«
»Ich suche noch danach, optimistisch wie ich bin.« Er rutscht vom Barhocker und steuert auf einen der gemütlichen Ecktische zu.
Ich schnappe mir eine Schale mit Popcorn und folge ihm. Das Popcorn stelle ich zwischen uns auf den Tisch. »Ihr wohnt alle im Keller neben dem Studio, richtig? Hinter der Tür, auf der Zutritt verboten steht?«
Er nickt. »Die Tür führt zu unserer unterirdischen Wohnung. Da hat jeder von uns ein Zimmer für sich, obendrein gibt’s noch ein gemeinsam genutztes Wohnzimmer und eine Küche. Nicht gerade ein Penthouse auf der Park Avenue, aber es kostet nichts. Und außerdem sind wir dort sicher.«
»Sicher wovor?«
»Feuer, zunächst einmal. Vor einem Asteroiden-Einschlag wahrscheinlich auch. Definitiv vor einem Atomschlag.« Er zupft an den weißen Fäden, die sich vom Ärmel seines Hemds lösen. »Aber wegen der Sonne machen wir uns die meisten Sorgen. Das ist der Grund, warum die Tür zum Sender immer verschlossen ist und die Fenster verrammelt sind.«
»Vorhänge würden nicht ausreichen?«
»Selbst das Sonnenlicht, das an den Kanten in einen Raum hineinsickert, kann zu schmerzhaften Verbrennungen führen. Deshalb
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