Roman
Fülle von Dreadlocks, die ihm weit über die Schulter reichen. Ich bin erleichtert, dass die Siebziger hier durch den Reggae und nicht die Discomusik repräsentiert werden.
»Also, ich bitte dich! Lass sie verdammt noch mal in Ruhe, du Wanker !« Trotz des britischen Ausdrucks spricht die Punk-Goth-Frau – zweifellos Regina – mit echt breitem Mittelwest-Akzent. Unter einem dichten Schopf aus schwarzem, stachelig abstehendem Haar befindet sich ein Gesicht, das als Studie für Einfarbigkeit dienen könnte: schwarzer Eyeliner und schwarzer Lippenstift, die die Perfektion ihres Porzellanteints nur noch unterstreichen.
Regina bedenkt mich mit einem stylischen Chin-Tilt, einem kurzen Aufwärtsrucken des Kinns zur Begrüßung, und einem »Jou!«. Erst dann dreht sie sich zu Shane um. »Du könntest jetzt so tun, als würdest du aufwachen.«
Er lässt den in Flanell steckenden Arm vom Gesicht gleiten und wendet uns den Kopf zu. Zum ersten Mal an diesem Abend hole ich tief Luft. Shanes warmer Blick und sein schiefes Lächeln geben mir das Gefühl, als wäre ich wirklich da und nicht bloß Dreck, den jemand auf dem Teppich hinterlassen hat.
»Hey.« Shane lässt seine abgewetzten Doc Martens vom Sofa rutschen und steht langsam auf. Selbst mit der lässigen Haltung der Grunge-Anhänger ist er größer als die anderen DJ s. Während er auf mich zukommt, wirft er den Kopf zurück, um eine Strähne seines nackenlangen, hellbraunen Haars aus der Stirn zu bekommen.
Als sich unsere Hände berühren, schreckt er zusammen, als ob ich ihm einen Schlag versetzt hätte. Er spricht meinen Namen ganz korrekt aus und sagt ihn so leise, dass ich mich frage, ob noch jemand in diesem Raum gerade schläft. Dann wird sein Blick kühler, und er wendet sich halb von mir ab, die Hände in den Taschen.
Oh, er ist schüchtern. Wie liebenswert, zum Knuddeln schön, zum In-die-Tasche-stecken-und-mit-nach-Hause-tragen!
Oder besser doch nicht, als mein Blick auf Regina fällt, deren Augen mich gerade in dünne Streifen schneiden. Shane muss wohl ihr Typ sein. Wahrscheinlich kann sie in Sekundenbruchteilen jedes der sechs Gesicht-Piercings in eine Waffe verwandeln.
Ein enormer Stapel Jetons türmt sich vor ihr auf, gleich neben einer offenen Flasche Tequila. »Wer gewinnt denn?«, frage ich in dem Versuch, sie auf meine Seite zu ziehen.
»Ich habe 292 Dollar«, erwidert Regina. »Jim hat 46, Noah 167 und Spencer 98. Nein, Moment … 99.«
»Shane war früh raus aus dem Spiel«, erklärt Jim. »Nicht, dass er viel Startkapital gehabt hätte.«
Der Flanellhemd tragende Typ, um den es geht, wendet sich an David. »Sie ist in Ordnung. Kann ich jetzt gehen?«
»Klar. Danke fürs Kommen.«
Jim fischt einen Schlüsselbund aus der Tasche und wirft ihn Shane zu. »Gute Jagd. Und denk daran, nichts von dem Niedrig-Oktan-Scheiß dieses Mal!«
Shane geht in Richtung Tür und wirft mir dabei einen anerkennenden Blick zu. Mein Blick folgt ihm, aber ich wende nicht den Kopf. Ich gratuliere mir zu so viel Selbstbeherrschung.
»Und was denkt der Rest von euch?«, fragt David. »Sollen wir sie engagieren?«
Der Rest von ihnen mustert mich, als wäre ich eine Kuh auf einer Landgut-Auktion. Ich bemühe mich, nicht zu muhen.
Die vier Moderatoren tauschen Blicke, dann nicken sie, mehr oder weniger im Einklang miteinander. David reibt sich die Hände und setzt zu einer Erklärung an.
»Moment!«, stoppt ihn Spencer. »Was ist mit Monroe?«
David verlagert sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Dann schüttelt er den Kopf. »Ich möchte seine Sendung nicht unterbrechen.«
»Wer ist Monroe?«, frage ich David.
Er zeigt auf eine geschlossene Tür in der Ecke, über der das Schild AUF SENDUNG rot leuchtet. »Er moderiert die Midnight Blues Show .«
»Aber es ist doch erst halb zehn.«
»Die Sendung beginnt um neun und endet um Mitternacht. Dann übernimmt Spencer, schließlich Jim von drei bis sechs. Allerdings passiert das im Wechsel mit der anderen Schicht, also sind’s die drei in jeder zweiten Nacht. In den anderen Nächten sind Noah, Regina und Shane dran, nach demselben Zeitplan.«
Die DJ s nehmen ihre Karten wieder auf und machen uns damit deutlich, dass wir entlassen sind. David winkt mich zur Treppe, die uns wieder nach oben führt.
Er schließt die Tür hinter uns und deutet mit dem Daumen über seine Schulter. »Haben Sie begriffen, was sie sind?«, flüstert er.
Es klingt wie eine Fangfrage, also schüttele ich den Kopf.
»Eine echte
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