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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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«Vernichtungslager» , erfuhr ich. Etwas ganz anderes sei dagegen – so wurde gleich hinzugefügt – das «Arbeitslager» : Dort sei das Leben leicht, die Verhältnisse und die Lebensmittelversorgung, hieß es, unvergleichlich besser, was nur natürlich ist, denn auch das Ziel war ja schließlich ein anderes. Nun, auch wir würden noch an einen solchen Ort verbracht, falls nicht irgendetwas dazwischenkäme, was – wie man um mich herum zugab – in Auschwitz durchaus möglich sei. Auf jeden Fall – erklärte man weiter – sei es keineswegs ratsam, sich krank zu melden. Das Krankenhaus-Lager befinde sich im Übrigen dort, am Fuß des einen Schornsteins, von den Eingeweihteren nur noch kurz «der Zweier» genannt. Die Gefahr lauere vor allem im Wasser, in nicht abgekochtem Wasser, wie ich selbst es zum Beispiel auf dem Weg vom Bahnhof zum Bad getrunken hatte – aber das hatte ich ja schließlich nicht wissen können. Nun gut, da war die Tafel gewesen, unbestreitbar, aber immerhin, der Soldat hätte ja auch etwas sagen können, fand ich. Doch halt – fiel mir ein –, ich musste ja das Ziel in Betracht ziehen: Gott sei Dank konnte ich feststellen, dass ich mich wohlfühlte, und auch von den Jungen hatte ich bis dahin keine Klagen gehört.
    Später habe ich an diesem Tag dann noch mehr Wissenswertes erfahren, bin weiterer Dinge zum ersten Mal ansichtig geworden, habe weitere Gebräuche kennengelernt. Im Allgemeinen, so kann ich sagen, hörte ich am Nachmittag schon mehr Neuigkeiten, es wurde um mich herum schon mehr von unseren Zukunftsaussichten, Möglichkeiten und Hoffnungen gesprochen als von dem Schornstein hier. Zeitweise nahmen wir ihn gar nicht zur Kenntnis, so als wäre er gar nicht da, das hing ganz von der Windrichtung ab, hatten viele herausgefunden. An diesem Tag habe ich auch zum ersten Mal die Frauen gesehen. Die Männer, die sich aufgeregt am Drahtzaun zusammengeschart hatten, haben sie mir gezeigt: Tatsächlich, da waren sie, auch wenn es mir schwerfiel, sie zu erkennen, nun ja, sie vor allem als Frauen auszumachen, da in der Ferne, jenseits des lehmigen Feldes, das vor uns lag. Ich bin sogar ein bisschen erschrocken vor ihnen, und wie ich merkte, sind nach der ersten Aufregung, der ersten Freude an der Entdeckung auch die Männer um mich herum ziemlich still geworden. Nur eine dumpfe, etwas zittrig klingende Bemerkung in der Nähe ist an mein Ohr gedrungen: «Sie sind kahl.» Und in dieser großen Stille hörte ich nun auf einmal, wie im leichten Wind des Sommerabends eine zwar dünne, zirpende und kaum vernehmbare, eindeutig aber friedliche, fröhliche Melodie in Wellen herüberwehte, was uns – so, zusammen mit diesem Anblick – alle irgendwie ungeheuer überraschte. Des weiteren war es auch das erste Mal, dass ich in einer der hinteren Reihen des Zehnerblocks stand, in dem wir vor unserer Baracke aufgestellt wurden, damals noch ohne zu wissen, worauf wir da warteten – gleicherweise übrigens wie alle anderen Gefangenen vor allen anderen Baracken links, rechts, vorn und hinten, so weit das Auge reichte –, und es war zum ersten Mal, dass ich mir, wie befohlen, die Mütze vom Kopf riss, während draußen auf der Hauptstraße, in der lauen Abendluft lautlos dahingleitend, die Gestalten von drei Soldaten auf Fahrrädern auftauchten: ein schöner – wie ich nicht umhinkonnte zu empfinden – und schneidender Anblick. Sieh an, dachte ich, wie lange habe ich eigentlich schon keine Soldaten mehr gesehen. Nur musste ich staunen, dass es mir schwerfiel, in diesen Menschen, die sich von der anderen Seite der Schranke her so abweisend, so eisig, wie von einer unerreichbaren Höhe herab das anhörten – einer von ihnen machte darüber auch Notizen in ein längliches Buch –, was auf dieser Seite unser Blockkommandant (auch er die Mütze in der Hand haltend) zu ihnen sagte; dass es mir also schwerfiel, in diesen ohne ein Wort, einen Laut oder auch nur ein Kopfnicken auf der leeren Hauptstraße davongleitenden und irgendwie fast schon unheilverkündenden Allmächtigen Mitglieder der gesprächigen, gemütlichen Einheit zu erkennen, die uns heute Morgen an der Eisenbahn begrüßt hatte. Zur gleichen Zeit vernahm ich einen leisen Laut, eine Stimme, und ich sah neben mir ein vorgestrecktes Profil, die pralle Wölbung eines Brustkastens: Es war der ehemalige Offizier. Er flüsterte so, dass seine Lippen dabei kaum auch nur zitterten: «Abendliche Bestandskontrolle», und dabei nickte er ein klein

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