Roman eines Schicksallosen (German Edition)
wenig, mit einem Lächeln, dem wissenden Gesicht eines Menschen, für den alles ganz und gar verständlich, mit vollkommener Klarheit, in gewisser Weise fast schon zu seinem Gefallen abläuft. Und dann sah ich auch zum ersten Mal – denn noch die Dunkelheit fand uns in der gleichen Stellung vor – die Farbe der hiesigen Nacht und eine ihrer Erscheinungen: die bengalischen Feuer, ein wahres Feuerwerk aus Flammen und Funken über dem ganzen linken Rand des Himmels. Um mich herum wurde von vielen geflüstert, gemurmelt und wiederholt: «Die Krematorien!», aber doch schon eher, um es so zu sagen, irgendwie mit dem Staunen, das einer Naturerscheinung gilt. Dann: «Abtreten» , und ich hatte auch schon einigermaßen Hunger, doch dann erfuhr ich, dass unser Abendessen eigentlich das Brot gewesen war, und das hatte ich ja schon am Morgen gegessen. Die Baracke hingegen, der «Block» , erwies sich als eine innen völlig kahle Räumlichkeit, mit Zementfußboden und ohne jedes Mobiliar, ohne jede Einrichtung, ja ohne Beleuchtung, wo die Nachtruhe wiederum nur so zu bewerkstelligen war wie im Pferdestall der Gendarmerie: Ich lehnte den Rücken an die Unterschenkel eines Jungen, der hinter mir saß, während sich der vor mir an meine Beine anlehnte; und da ich von den vielen neuen Erlebnissen, Eindrücken und Erfahrungen müde und schläfrig war, bin ich auch bald eingeschlummert.
Von den folgenden Tagen sind mir – ähnlich wie bei denen in der Ziegelei – schon weniger Einzelheiten in Erinnerung geblieben, sondern mehr ihre Stimmung, ein Gefühl, ein allgemeiner Eindruck sozusagen. Nur fiele es mir schwer, diesen genauer zu umschreiben. Auch in diesen Tagen gab es noch immer Neues zu erfahren, zu sehen, aufzunehmen. Hin und wieder spürte ich auch die Kälte dieses merkwürdigen fremden Gefühls, das mir zum ersten Mal beim Anblick der Frauen begegnet war, und ein-, zweimal kam es auch vor, dass ich mich in einem Kreis bestürzter Menschen wiederfand, die sich mit langen Gesichtern anstarrten und einander immer von neuem fragten: «Was sagen Sie dazu? Was sagen Sie dazu?» – und die Antwort darauf war entweder Schweigen oder aber fast immer das Gleiche: «Entsetzlich.» Doch es ist nicht dieses Wort, nicht genau dieses Erlebnis – jedenfalls nicht für mich, versteht sich –, mit dem ich Auschwitz wirklich kennzeichnen würde. Unter den mehreren hundert Bewohnern unseres Blocks war, wie sich herausstellte, auch der Pechvogel. Er wirkte etwas seltsam in seinem zu weiten Sträflingsanzug, der zu weiten Mütze, die ihm immer wieder in die Stirn rutschte. «Was sagen Sie dazu», fragte auch er, «was sagen Sie dazu?» Aber wir konnten natürlich nicht sehr viel sagen. Ich habe seinen hastigen, wirren Worten dann nicht mehr recht folgen können. Man dürfe nicht nachdenken, behauptete er, oder doch, an eines könne und müsse man unablässig denken, an die nämlich, die er «zu Hause zurückgelassen» habe und um derentwillen er «stark sein» müsse, da sie ihn ja zurückerwarteten: seine Frau und seine beiden kleinen Kinder – das war, soviel ich verstand, ungefähr der Sinn. Und doch, die Hauptsorge war im Grunde genommen auch hier nur, genau wie im Zollhaus, in der Ziegelei, in der Eisenbahn: die Länge der Tage. Sie begannen schon recht früh, nur wenig nach dem mittsommerlichen Sonnenaufgang. Da habe ich erfahren, wie kalt die Morgen in Auschwitz sind: Wir Jungen kauerten uns an die Barackenwand auf der Seite des Drahtzauns, schmiegten uns eng aneinander, wärmten einander, im Angesicht der noch schrägstehenden roten Sonne. Ein paar Stunden später hätten wir hingegen eher den Schatten gesucht. Auf jeden Fall verging die Zeit auch hier, auch hier war der «Zierlederer» bei uns, auch hier erklang hin und wieder ein Scherz, und es fanden sich, wenn auch keine Hufnägel, so doch Kiesel, die uns der «Halbseidene» einen nach dem anderen wegschnappte, auch hier ließ sich gelegentlich «Rosis» Stimme vernehmen: «Und jetzt auf Japanisch!» Außerdem die zwei täglichen Gänge zum Abort, morgens dazu in die Waschbaracke (ein ähnlicher Ort, bloß mit Zinktrögen auf der ganzen Länge statt Podesten und über jeder Trogreihe ein waagrechtes Eisenrohr, durch dessen viele kleine Löcher das Wasser rieselte), dann die Essensausgabe, abends der Appell, ja und dann natürlich auch die Bekanntmachungen – damit hatten wir uns zu begnügen, so war der Tag eingeteilt. Dazu kam, was man so erlebte: etwa die «Blocksperre»
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