Roman eines Schicksallosen (German Edition)
Aufschrift «Vorarbeiter» . Ich war zufällig dabei, als ein Mann aus unserem Block, ein kräftiger und stämmiger zwar, der mir aber sonst kaum aufgefallen und der, wie ich mich erinnerte, im Allgemeinen auch nicht besonders beliebt oder bekannt war, zum ersten Mal mit der nagelneuen Binde am Ärmel beim Abendessen erschien. Nun aber, das sah ich, war es nicht mehr der unbekannte Mann von vorher: Freunde und Bekannte fanden kaum genug Platz um ihn herum, von allen Seiten freudige Glückwünsche zu seiner Beförderung, ihm entgegengestreckte Hände, von denen er einige ergriff, andere wieder nicht, deren Besitzer sich dann, wie ich sah, eilig davonschlichen. Und danach folgte – für mein Gefühl zumindest – der feierlichste Augenblick, als er nämlich unter allgemeiner Aufmerksamkeit und in einer respektvollen, um nicht zu sagen ehrfürchtigen Stille, mit großer Würde, kein bisschen eilig, kein bisschen überstürzt, im Kreuzfeuer der bewundernden oder neidischen Blicke, ein zweites Mal vortrat, um eine zweite Portion in Empfang zu nehmen, wie es seinem Rang jetzt gebührte, eine Portion vom Kesselboden, die der Stubendienst ihm bereits mit der einem Gleichgestellten gebührenden Achtung ausschöpfte.
Ein andermal leuchteten mir die Buchstaben vom Ärmel eines mit geschwellter Brust einherstolzierenden Mannes entgegen, den ich sofort als den Berufsoffizier aus Auschwitz erkannte. Eines Tages bin auch ich ihm zwischen die Finger geraten, und wirklich, es stimmte: dass er für gute Leute durchs Feuer ging, für Taugenichtse hingegen nicht einen Kreuzer übrig hatte, schon gar nicht für solche, die sich von anderen die Kastanien aus der Glut holen ließen – wie er es selbst, mit seinen eigenen Worten, zu Beginn der Arbeit angekündigt hatte. Deshalb sind dann Bandi Citrom und ich am folgenden Tag lieber in ein anderes Kommando hinübergeschlüpft.
Noch eine Veränderung stach mir ins Auge, und zwar seltsamerweise gerade an Außenstehenden, an den Leuten von der Fabrik, an unseren Aufsehern und allenfalls noch an der einen oder anderen Exzellenz im Lager: Wie ich feststellte, hatten sie sich verwandelt. Zuerst konnte ich mir die Sache nicht so recht erklären: Irgendwie sahen sie auf einmal alle sehr schön aus, zumindest in meinen Augen. Dann erst bin ich, aufgrund von ein paar Anzeichen, dahintergekommen, dass wahrscheinlich wir uns verändert hatten, nur hatte ich das eben nicht so leicht wahrnehmen können. Wenn ich mir zum Beispiel Bandi Citrom anschaute, so bemerkte ich nichts Besonderes an ihm. Aber dann versuchte ich, mich zurückzuerinnern, seinen Anblick mit dem zu vergleichen, als ich ihn zum ersten Mal sah, damals, als er rechts neben mir in der Reihe stand, oder das erste Mal bei der Arbeit, mit seinen auffälligen Muskeln und Sehnen, die in gewisser Weise einer naturkundlichen Darstellung glichen, sich ein- und ausgebuchtet, sich elastisch gebogen oder hart gespannt, sich auf und ab bewegt hatten, und das konnte ich nun gar nicht mehr recht glauben. Erst da begriff ich, dass die Zeit offenbar hin und wieder unsere Wahrnehmung täuschen kann. So hatte dieser – in seinem Ergebnis zwar durchaus fassbare – Prozess auch meiner Aufmerksamkeit entgehen können, als er sich zum Beispiel an einer ganzen Familie vollzog, nämlich an der Familie Kollmann. Ein jeder im Lager kannte sie. Sie kamen aus einem gewissen Ort namens Kisvárda, aus dem auch noch viele andere hier waren, und aus der Art, wie man mit ihnen oder von ihnen sprach, schloss ich, dass sie zu Hause angesehene Leute gewesen sein mussten. Sie waren zu dritt: der kleinwüchsige, kahle Vater, ein größerer und ein kleinerer Junge, die dem Vater überhaupt nicht, einander aber – und demzufolge wahrscheinlich der Mutter, denke ich – im Gesicht auffällig ähnlich waren, die gleichen blonden Borsten, die gleichen blauen Augen. Sie gingen immer zu dritt, und wenn nur irgend möglich Hand in Hand. Nun habe ich nach einer gewissen Zeit bemerkt, dass der Vater hin und wieder zurückblieb und die beiden Jungen ihm helfen und ihn an der Hand mitziehen mussten. Nach einer Weile war dann der Vater gar nicht mehr bei ihnen. Dann aber musste der Größere bald den Kleineren nachziehen. Noch später ist dann auch dieser verschwunden, und da schleppte der Größere bloß noch sich selbst, und in der letzten Zeit sah ich auch ihn nirgends mehr. Wie gesagt, das alles habe ich wahrgenommen, aber eben nicht so, wie ich es dann nachträglich – wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher