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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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interessant – allerdings erwartet man verständlicherweise nicht das von mir, das sehe ich schon ein. In welches «Arbeitskommando» man eingeteilt wird, ist immer eine spannende Frage. Die einen schwören auf den Spaten, die anderen auf die Spitzhacke, die einen preisen die Vorteile des Kabelverlegens, die anderen schätzen es mehr, die Mörtelmischer zu bedienen, und wer weiß, welcher heimliche Grund, welche verdächtige Vorliebe einige ausgerechnet zu den Kanalisationsarbeiten hinzieht, wo man bis zu den Hüften in gelbem Schlamm oder schwarzem Öl steht – wenn auch niemand daran zweifelt, dass ein solcher Grund existiert, da es meistens die Letten sind, nun, und dann ihre gleichgesinnten Freunde, die «Finnen». Das Wort «Antreten» hat nur einmal am Tag diese abfallende, wehmütig-süß in die Länge gezogene, lockende Melodie: am Abend nämlich, wenn es die Heimkehr anzeigt. In das Gewimmel bei den Waschbecken drängt sich Bandi Citrom mit einem: «Platz da, ihr Muselmänner!», und an mir ist kein Körperteil, der seinem prüfenden Blick verborgen bliebe. «Wasch dir auch den Pimmel, dort wohnen die Läuse!» sagt er, und ich gehorche ihm lachend. Jetzt beginnt jene gewisse Stunde: die der kleinen Erledigungen hier und da, der Scherze und Klagen, der Besuche, Besprechungen, des Geschäftemachens und der Nachrichten, und nur das Scheppern der Kessel, dieses alle in Bewegung setzende, alle zu raschem Handeln anspornende Signal, kann sie unterbrechen. Dann: «Appell!» – und wie lange der dauert, ist allein eine Frage des Glücks. Aber nach ein, zwei, na schön, höchstens drei Stunden dann (inzwischen sind auch die Scheinwerfer angegangen) ein großes Gerenne auf dem schmalen Pfad im Zelt, den auf beiden Seiten dreistöckige Kästen, hier «Boxen» genannt, unsere Schlafstätten, säumen. Dann ist das Zelt eine Zeit lang voll von Dämmerlicht und Geflüster – es ist die Stunde des Erzählens, von der Vergangenheit, der Zukunft, der Freiheit. Wie ich erfahre, sind zu Hause alle beispiellos glücklich und zumeist auch noch reich gewesen. Und sogar davon kann ich mir bei solcher Gelegenheit ein Bild machen, was sie abends zu essen pflegten, ja auch von gewissen anderen, unter Männern in vertraulichem Ton erwähnten Bereichen. Da wird auch erzählt – was ich dann später nie wieder gehört habe –, dass, wie einige annehmen, die Suppe aus einem bestimmten Grund mit einer Art Beruhigungsmittel, nämlich «Brom» , versetzt werde – so haben sie es auf jeden Fall behauptet, einträchtig und mit einem immer etwas geheimnisvollen Gesichtsausdruck. Bandi Citrom erwähnt in solchen Momenten unweigerlich die Nefelejts-Straße, die Lichter oder – auch das eigentlich nur anfangs, und ich habe da natürlich nicht so recht mitreden können – «die Frauen von Budapest». Zu anderer Zeit werde ich auf ein verdächtiges Gemurmel, ein leises, litaneiartiges, hin und wieder lauter herausgestoßenes Singen und abgeblendetes Kerzenlicht aufmerksam, in einer Ecke des Zelts, und ich höre, dass es Freitagabend ist und der dort ein Geistlicher, ein Rabbi. Auch ich wate oben über die Pritschen hinweg, um von dort hinunterzuschauen, und tatsächlich, er ist es, inmitten einer Gruppe von Leuten, der Rabbi, den ich bereits kenne. Er hat die Andacht einfach so, in Sträflingskleidung und Mütze, verrichtet, aber ich habe nicht lange zugeschaut, weil ich mich eher nach Schlafen als nach Beten sehnte. Bandi Citrom und ich wohnen in der obersten Etage. Wir teilen die Box mit noch zwei weiteren Schlafgenossen, beide jung, freundlich und auch aus Budapest. Als Unterlage dient Holz, darauf Stroh und darauf Sackleinen. Zu zweit sind wir im Besitz einer Decke, aber es ist ja Sommer, und da ist auch das zu viel. An Platz herrscht nicht gerade Überfluss: Wenn ich mich umdrehe, muss sich auch mein Nachbar umdrehen, wenn der Nachbar die Beine anzieht, muss auch ich sie anziehen, aber auch so ist der Schlummer tief und macht alles vergessen – goldene Zeiten, in der Tat.
    Die Veränderungen begannen sich ein wenig später bemerkbar zu machen – vor allem auf dem Gebiet der Tagesrationen. Wir konnten uns nur noch fragen, wohin eigentlich die Zeit der halben Brote so schnell verflogen war: An ihre Stelle war unwiderruflich die Ära der Drittel und Viertel getreten, und auch die Zulage war nicht mehr immer unbedingt gewährleistet. Da hat auch der Zug begonnen, langsamer zu werden, und schließlich ist er ganz stehen geblieben. Ich

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