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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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wenn mich nicht alles täuschte. Und gänzlich über den Haufen geworfen wurden meine verzagten Erwägungen durch ein näher kommendes Geräusch, dann Lärm, dann das schließlich schon vom Flur hereindringende, unverwechselbare Geklapper, das mein ganzes Wesen aufwühlte, es mit beständig wachsender, immer unbezwingbarerer Erwartung erfüllte und zu guter Letzt gewissermaßen den Unterschied zwischen mir und dieser Bereitschaft verwischte. Draußen ein Lärmen, ein Kommen und Gehen, das Geklapper von Holzsohlen, schließlich das ungeduldige Rufen einer vollen Stimme: «Saal sechs! Essen holen!» Der Pfleger ging hinaus und zog dann mit Hilfe eines anderen, von dem im Türspalt nur die Arme zu sehen waren, einen schweren Kessel herein, und schon war das Zimmer mit dem Duft der Suppe erfüllt – auch wenn es heute deutlich nur der Duft von Dörrgemüse, der bekannten Lagersuppe, war: So hatte ich mich doch auch hierin geirrt.
    Später machte ich dann noch weitere Beobachtungen, und während die Stunden, die Tageszeiten und schließlich die Tage vergingen, wurde mir allmählich alles klar. Jedenfalls musste ich mich nach einiger Zeit, wenn auch nur langsam, zurückhaltend und vorsichtig, von den Tatsachen überzeugen lassen, nämlich dass – wie es schien – auch das möglich und denkbar war, es mochte zwar ungewohnter sein, ja, und auch angenehmer, natürlich, aber im Grunde genommen, wenn ich es recht bedachte, war es nicht merkwürdiger als alle anderen Merkwürdigkeiten, die – es war ja schließlich ein Konzentrationslager – sonst noch möglich und denkbar waren, sowohl so als auch umgekehrt, natürlicherweise. Andererseits war es jedoch gerade dies, was mich störte, meine Sicherheit irgendwie untergrub: Letzten Endes, wenn ich es vernünftig betrachtete, konnte ich überhaupt keinen Grund, irgendeine denkbare, erkennbare, verständliche Begründung dafür sehen, dass ich zufällig gerade hier und nicht anderswo war. Nach und nach entdeckte ich, dass die Kranken hier alle einen Verband trugen, anders als in der Baracke vorher, und so wagte ich mit der Zeit die Annahme, dass sich dort womöglich die Abteilung für innere Krankheiten und hier – wer weiß – vielleicht die Chirurgie befand; doch konnte ich das natürlich noch nicht als hinreichenden Grund, als nötige Erklärung für die Mühe ansehen, für das ganze Unterfangen, dieses wahrlich wohlabgestimmte Zusammenspiel von Händen, Schultern, Überlegungen, das mich – wenn ich es richtig überdachte – von dem Karren bis hierher, in dieses Zimmer, in dieses Bett gebracht hatte. Ich versuchte auch, mir von den Kranken ein Bild zu machen, mich unter ihnen ein wenig auszukennen. Im Allgemeinen, so bemerkte ich, mussten es altgediente, alteingesessene Häftlinge sein. Wie eine Exzellenz kam mir keiner vor, obwohl ich sie andererseits auch mit den Zeitzern nicht hätte vergleichen können. Allmählich fiel mir auch auf, dass an der Brust der Besucher, die immer zur gleichen Abendstunde für eine Minute, auf einen Schwatz bei ihnen hereinschauten, stets nur rote Dreiecke zu sehen waren und zum Beispiel weder grüne noch schwarze – was ich übrigens keineswegs vermisste –, aber auch – und das vermisste mein Auge nun schon eher – keine gelben. Kurz und gut, sie waren anders, dem Blut, der Sprache, dem Alter nach, aber abgesehen davon auch sonst noch anders als ich oder die anderen, die ich bisher immer leicht verstanden hatte, und das beengte mich einigermaßen. Doch gerade darin – so spürte ich – lag irgendwo vielleicht die Erklärung. Da ist zum Beispiel Pjetka: Abends schlafen wir mit seinem Gruß «dobra noc» ein, morgens erwachen wir auf sein «dobre rano» hin. Die stets tadellose Ordnung im Zimmer, das Aufwischen des Fußbodens mit einem feuchten, um einen Stock gewickelten Lappen, das Beschaffen der täglichen Kohleration und das Heizen des Ofens, das Verteilen der Portionen und die Reinigung der dazugehörigen Näpfe und Löffel, im Bedarfsfall das Umhertragen der Kranken und wer weiß, was sonst noch: alles, alles das Werk seiner Hände. Wenn er auch nicht viele Worte macht, so sind doch sein Lächeln, seine Hilfsbereitschaft immer gleich, mit einem Wort: als wäre er nicht Inhaber eines wichtigen Amtes – schließlich ist er ja die erste Exzellenz des Zimmers –, sondern ganz einfach eine Person, die in erster Linie den Kranken zur Verfügung steht, ein Pfleger, in der Tat, so wie es auf seiner Armbinde steht.
    Oder dann ist

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