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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Blättern von künstlichen Blumen verdächtig ähnlich sahen und dass die Nasenspitze und die Augengegend eine gelbe Färbung hatten, die mir auch schon recht gut bekannt war. Er lag auf dem Rücken, seine Decke bewegte sich sachte auf und ab: Anscheinend schlief er. Auf alle Fälle, sozusagen versuchshalber, flüsterte ich ihm zu: Versteht man Ungarisch? Nichts, er schien nicht nur nicht zu verstehen, sondern auch nicht zu hören. Ich hatte mich schon wieder abgewandt, um meine Gedankenfäden weiterzuspinnen, als unverhofft ein Wort, ein geflüstertes, dennoch gut verständliches, an mein Ohr drang: «Ja.» Er war es, ohne Zweifel, auch wenn er die Augen nicht geöffnet, seine Lage nicht verändert hatte. Ich hingegen war plötzlich irgendwie dummerweise so erfreut, ich weiß gar nicht, warum, dass ich ein paar Minuten lang ganz vergaß, was ich eigentlich von ihm hatte wissen wollen. Ich fragte: «Woher kommen Sie?», und er antwortete, wieder nach einer endlos scheinenden Pause: «Aus Budapest …» Ich wollte wissen: «Wann?», und nach einer kürzeren Geduldsprobe erfuhr ich: «Im November …» Erst dann fragte ich endlich: «Gibt es hier zu essen?», und wieder nach Ablauf der entsprechenden Zeit, die er offenbar jeweils brauchte, antwortete er: «Nein …» Ich wollte wissen …
    Doch gerade in diesem Augenblick kam der Pfleger wieder herein, und zwar direkt zu ihm, und ich staunte nur so, mit welcher Leichtigkeit er diesen – wie ich erst jetzt sah – doch noch recht gewichtigen Körper auf die Schulter nahm und zur Tür hinaustrug, während ein loses Stück Papierverband in der Bauchgegend des Kranken gleichsam zum Abschied winkte. Zur gleichen Zeit war ein kurzes Knacken, dann ein elektrisches Knistern zu vernehmen. Darauf meldete sich eine Stimme: «Friseure zum Bad, Friseure zum Bad» , sagte sie. Es war eine etwas schnarrende, sonst aber sehr angenehme, einschmeichelnde, ja fast schon betörend sanfte und melodiöse Stimme – die Art, bei der man gleichsam auch den Blick spürt, und zuerst hätte sie mich beinahe aus dem Bett geworfen. Bei den Kranken ringsum jedoch löste dieses Ereignis, wie ich sah, etwa genauso viel Aufregung aus wie zuvor meine Ankunft, und so dachte ich, also gehört das hier offensichtlich zur Tagesordnung. Rechts über der Tür entdeckte ich dann auch einen braunen Kasten, so eine Art Lautsprecher, und es ging mir auf, dass die Soldaten anscheinend über diesen Apparat irgendwoher ihre Befehle übermittelten. Kurz darauf kam abermals der Pfleger, abermals zu dem Bett neben mir. Er schlug die Decke und das Laken zurück, griff durch einen Schlitz in den Strohsack hinein, und die Art, wie er das Stroh, danach Laken und Decke wieder in Ordnung brachte, machte mir klar: den Mann von vorhin würde ich wohl kaum wiedersehen. Und ich konnte nichts dafür, dass meine Phantasie gleich wieder fragte: War das vielleicht die Strafe dafür, dass er das Geheimnis ausgeplaudert hatte, was sie – warum denn eigentlich nicht – über irgendeinen, dem anderen dort ähnlichen Apparat abgehört, abgefangen hatten? Ich wurde jedoch wieder auf eine Stimme aufmerksam – dieses Mal auf die eines Kranken, zum Fenster hin, auf dem dritten Bett von mir aus gesehen. Es war ein sehr magerer, bleicher junger Mann, und er trug noch Haare, und zwar dichte blonde, gewellte. Er sagte zwei-, dreimal dasselbe Wort, stöhnte es eher, die Vokale in die Länge ziehend, einen Namen, wie ich allmählich mitbekam: «Pjetka! … Pjetka! …» Worauf der Pfleger, auch er mit einer gedehnten und, so fühlte ich, recht herzlichen Stimme, nur ein Wort zu ihm sagte: «Co?» Darauf sagte der andere noch etwas Längeres, und Pjetka – denn ich hatte verstanden: so also hieß der Pfleger – ging zu seinem Bett. Er flüsterte lange auf ihn ein, so, wie wenn man jemandem ins Gewissen redet, ihn noch zu etwas Geduld, zu etwas längerem Ausharren mahnt. Inzwischen zog er ihn, eine Hand unter seinem Rücken, ein wenig hoch, klopfte unter ihm das Kissen zurecht, brachte auch seine Steppdecke in Ordnung, und das alles freundlich, herzlich, liebevoll – auf eine Art, die meine bisherigen Annahmen völlig durcheinanderbrachte, ja fast schon Lügen strafte. Diesen Ausdruck auf dem jetzt wieder liegenden Gesicht konnte ich wohl doch nur als Beruhigung, als eine gewisse Erleichterung verstehen, diese ersterbenden, seufzerartigen, aber doch gut hörbaren Worte: «Djinkuje … djinkuje bardzo …», doch wohl nur als Dank,

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