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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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ist, welche die längsverlaufenden Dielenbretter deckt, nun und dann sind auch die Steppdecken sämtlicher Betten auf diesen Farbton abgestimmt. Es sind etwa zwölf an der Zahl. Meistens Einzelbetten, doppelstöckig nur dieses hier, in dessen unterer Etage du liegst, rechts von dir die weißgestrichenen Bretter der Trennwand, und ebenso die beiden vor dir und die beiden an der Trennwand gegenüber. Du magst ganz verdutzt sein wegen des vielen unausgenützten Platzes, der großen, bequemen, gut einen Meter breiten Zwischenräume zwischen den Betten, und magst staunen über die Vergeudung, wenn du da und dort sogar ein leeres Bett erblickst. Du entdeckst etwa das sehr hübsche, in viele kleine Vierecke aufgeteilte Glasfenster, das Helligkeit gibt, und der blassbraune, einen hakenschnabeligen Adler darstellende Stempel auf deinem Kopfkissen mag dir ins Auge stechen, worauf du wohl auch bald die dazugehörigen Buchstaben «Waffen-SS» entzifferst. In den Gesichtern ringsum hingegen wirst du vergeblich nach einem Zeichen, nach einer Äußerung forschen, vergeblich das Ereignis deiner Ankunft – das doch schließlich, so möchtest du meinen, irgendwie so etwas wie eine Neuigkeit ist –, vergeblich Interesse, Enttäuschung, Freude, Ärger, was immer, wenn es auch nur flüchtige Neugier wäre, in ihnen erkennen wollen – und so wird die Ruhe, die, je länger sie dauert, umso unbehaglicher, umso peinlicher, in gewisser Weise, möchte ich sagen, umso geheimnisvoller wird, das wirst du erfahren können, dein merkwürdigster Eindruck sein, falls es dich irgendwie hierher verschlägt. In dem viereckigen freien Raum, den die Betten umschließen, kannst du außerdem einen weißbedeckten kleineren, an der Wand gegenüber einen größeren Tisch ausmachen, darum herum ein paar Stühle mit Rückenlehne, bei der Tür einen großen prächtigen, tüchtig summenden Eisenofen, daneben einen schwarzglänzenden vollen Kohlebehälter.
    Und da kannst du dann anfangen, dir den Kopf zu zerbrechen: was du denn eigentlich von alledem halten sollst, von diesem Zimmer, von diesem Scherz mit der Steppdecke, dem Bett, der Stille. Das eine oder andere mag dir in den Sinn kommen, du kannst versuchen, dich zu erinnern, Schlüsse zu ziehen, aus deinen Kenntnissen zu schöpfen, auszuwählen. Vielleicht – so magst du grübeln, wie etwa ich es tat – ist das auch so ein Ort, von dem wir noch in Auschwitz gehört haben, wo die Pfleglinge bei Milch und Butter gehalten werden, bis man ihnen – zum Beispiel – Stück für Stück sämtliche Eingeweide herausnimmt, zwecks Weiterbildung, zum Wohle der Wissenschaft. Aber das ist natürlich – du musst es einsehen – nur eine Annahme, eine von vielen Möglichkeiten; ja und vor allem, von Milch und Butter habe ich im Übrigen keine Spur gesehen. Im Gegenteil – so fiel mir ein –, drüben war um diese Zeit längst die Suppe fällig, hier aber konnte ich nicht einmal irgendein Anzeichen davon, ein Geräusch, einen Geruch, wahrnehmen. So kam mir dann ein Gedanke, möglicherweise ein etwas zweifelhafter – aber wer könnte schon beurteilen, was möglich und was glaubhaft ist, wer könnte das ermessen, wer könnte all den unzähligen, verschiedenerlei Einfällen, Erfindungen, Spielen, Scherzen und ernsthaften Überlegungen nachgehen, die in einem Konzentrationslager allesamt ausführbar, machbar sind, sich spielend aus dem Reich der Phantasie in die Wirklichkeit überführen lassen – wer könnte das, selbst wenn er sein ganzes Wissen zusammennähme. Man wird also – grübelte ich – zum Beispiel genau in ein Zimmer wie dieses gebracht. Man wird, sagen wir, genau in ein solches Bett mit Steppdecke gelegt. Gehegt, gepflegt, mit allem versorgt – nur nicht mit Essen, nehmen wir einmal an. Wenn man will, dann lässt sich zum Beispiel vielleicht sogar das beobachten, auf welche Art jemand verhungert – schließlich mag auch das auf seine Art interessant, in höherem Sinn nützlich sein, warum denn nicht, das musste ich zugeben. Wie ich es auch drehte und wendete, die Idee kam mir immer wirklichkeitsnäher, immer brauchbarer vor: Sie konnte also auch schon einem Zuständigeren als mir gekommen sein, fand ich. Ich nahm meinen Nachbarn in Augenschein, den Kranken, der etwa einen Meter links von mir lag. Er war ältlich, ein bisschen kahl, das Gesicht hatte noch etwas von den Zügen, ja sogar von dem Fleisch seines einstigen Gesichts bewahrt. Allerdings bemerkte ich, dass seine Ohren irgendwie den wächsernen

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