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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Bett mehr frei, und außer den üblichen Geschwüren und aufgeschnittenen Wunden habe ich kürzlich, dank eines ungarischen Jungen, der eines der gegenüberliegenden Betten belegt hat, zum ersten Mal auch von einer Wunde gehört, die ein Gewehrschuss verursacht hat. Er hat sie sich während eines mehrtägigen Fußmarsches zugezogen, auf dem Weg von einem Lager auf dem Lande, das «Ohrdruf» heißt, wenn ich es richtig verstanden habe, und im Großen und Ganzen, wie ich seinem Bericht entnommen habe, Zeitz ähnelt: Sie waren die ganze Zeit vor dem Feind, das heißt der amerikanischen Armee geflohen, und die Kugel hatte dem Mann neben ihm gegolten, der ermüdet aus der Reihe taumelte, aber sie hatte eben auch den Jungen am Bein erwischt. Ein Glück, hat er hinzugefügt, dass sie wenigstens keinen Knochen getroffen hat, und ich dachte: Na, bei mir zum Beispiel würde das anders ablaufen. Mein Bein hätte die Kugel überall treffen können und immer nur Knochen erwischt, das steht fest, daran ist nicht zu rütteln. Es hat sich dann auch herausgestellt, dass er überhaupt erst seit dem Herbst im Konzentrationslager ist, seine Nummer beläuft sich auf achtzigtausend und noch etwas – nicht gerade vornehm, hier, in diesem Zimmer. – Kurzum: Von einer sich nahenden Änderung, von Unbequemlichkeiten, Durcheinander, Umsturz, Mühsal und Sorge erfahre ich neuerdings allerseits. Einmal geht Pjetka von Bett zu Bett, in der Hand einen Bogen Papier, und fragt jeden von uns, ob er «laufen» könne. Ich sage: «Nje , nje , ich kann nicht.» – «Tak, tak», sagt er, «du kannst» , und damit schreibt er meinen Namen auf, ebenso übrigens wie die Namen aller anderen im Zimmer, sogar Kuharskis, obwohl dessen geschwollene Beine, wie ich einmal im Behandlungszimmer sah, übersät sind mit parallelen, offenen Mündern gleichenden Schnitten. An einem anderen Abend hingegen – ich kaue gerade an meinem Brot herum – höre ich aus dem Radio: «Alle Juden im Lager sofort antreten!» ,und das mit einer so fürchterlichen Stimme, dass ich mich im Bett gleich aufrichte. «Co to robisch?», fragt Pjetka, mit neugieriger Miene. Ich zeige auf den Apparat, aber er lächelt nur in seiner gewohnten Art und bedeutet mit beiden Händen: zurück, keine Eile, wozu diese Aufregung, diese Hast? Doch der Lautsprecher tönt, knattert, redet den ganzen Abend: «Lagerschutz» , sagt er, womit er die knüppelbewehrten Exzellenzen dieses Kommandos zur sofortigen Arbeit ruft, und auch mit diesen ist er, wie es scheint, nicht ganz zufrieden, denn bald darauf bittet er – und ich kann es nicht ohne Schaudern hören – den Lagerältesten und den Kapo des Lagerschutzes, das heißt unter den Mächtigen des Lagers geradewegs die beiden denkbar Mächtigsten, zum Tor, «aber im Laufschritt!» .Andere Male ist der Apparat voller Fragen, voller Vorwürfe: «Lagerältester! Aufmarschieren lassen! Lagerältester! Wo sind die Juden?!» ,forscht, ruft, befiehlt, knistert und knattert der Kasten in einem fort, und Pjetka winkt bloß wütend ab und sagt zu ihm: «Kurwa jego match!» Und da überlasse ich die Sache eben ihm, denn er muss es ja schließlich wissen, und bleibe ruhig weiter liegen. Doch wenn es mir an diesem Abend noch nicht gepasst hat, am nächsten Tag gibt es offenbar kein Pardon mehr: «Lagerältester! Das ganze Lager: antreten!» , und kurz darauf zeigen Motorengeheul, Hundegebell, das Knallen von Schüssen, das Klatschen von Stöcken, das Klappern rennender Füße und gleich darauf das schwere Getrampel von Stiefeln, dass schließlich und endlich – wenn es so gewünscht wird – auch die Soldaten die Dinge in die Hand nehmen können und dass Ungehorsam eben solche Früchte trägt, bis es dann auf einmal – auf welche Art immer – ganz still wird. Dann aber taucht plötzlich vollkommen unerwartet der Arzt auf, nachdem seine Visite, als wäre draußen überhaupt nichts los, wie üblich am Morgen stattgefunden hat. Jetzt aber ist er nicht so kühl, nicht so gepflegt wie üblich: Sein Gesicht ist zerknittert, sein nicht ganz einwandfreier Mantel ist von rostfarbenen Flecken verunziert, er lässt den schweren Blick seiner blutunterlaufenen Augen in die Runde schweifen: offensichtlich sucht er ein leeres Bett, kein Zweifel: «Wo ist der» , sagt er zu Pjetka, «der mit dieser kleinen Wunde hier?!» ,seine Hand beschreibt mit einer unbestimmten Bewegung so ungefähr die Gegend von Hüfte und Oberschenkel, während sein forschender Blick kurz bei jedem

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