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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Gesicht, so auch bei meinem hält, und ich würde bezweifeln, dass er mich nicht erkannt hat, auch wenn er sich zufällig gleich wieder abwendet, um erneut Pjetka anzuschauen, wartend, drängend, fordernd, ihn gewissermaßen zu einer Antwort verpflichtend. Ich sage nichts, bin aber innerlich schon bereit, aufzustehen, etwas anzuziehen und hinauszugehen, irgendwohin mitten im Durcheinander: Doch da sehe ich zu meinem größten Erstaunen, dass Pjetka – wie zumindest seine Miene anzeigt – keine Ahnung hat, wen der Arzt da wohl meinen könnte, und dann, nach kurzer Ratlosigkeit plötzlich erleuchtet, als sei er nun doch darauf gekommen, «Ach ja» sagt, den Arm ausstreckt und auf den Jungen mit dem Gewehrschuss zeigt, womit auch der Arzt sofort einverstanden ist und sich gleichsam auch aufzuhellen scheint, so als habe man sein Problem sofort richtig erkannt und endlich gelöst, in der Tat. «Der geht sofort nach Hause» , verfügt er unverzüglich, und da kommt es zu einem sehr seltsamen, ungewohnten, ich könnte sagen ungehörigen Vorfall, wie ich ihn in unserem Zimmer noch nie gesehen habe und den ich dann auch ohne ein gewisses Unbehagen, ein gewisses Erröten überhaupt nicht mit ansehen kann. Der Junge mit dem Gewehrschuss nämlich faltet, nachdem er aufgestanden ist, zuerst nur die Hände vor dem Arzt, so als wolle er beten, und als der Arzt daraufhin verblüfft und für einen Augenblick verständnislos zurückweicht, lässt er sich geradewegs vor ihm auf die Knie fallen, greift mit beiden Händen nach ihm, fasst und umklammert seine Beine; darauf nehme ich nur noch wahr, wie die Hand des Arztes aufblitzt, und danach den mächtigen Knall der Ohrfeige, verstehe aber nur, dass er aufgebracht ist, nicht aber, was er sagt; darauf stößt er das Hindernis mit dem Knie aus dem Weg und eilt hinaus, das Gesicht aufgewühlt und noch stärker blutunterlaufen als sonst. In das leer gewordene Bett ist dann ein neuer Kranker gekommen, wieder ein Junge – der mir schon wohlbekannte stumpfe, harte Verband zeugt davon, dass am Ende seiner Füße keine einzige Zehe mehr ist –, und als Pjetka dann bei mir vorbeigekommen ist, habe ich leise, unter uns, zu ihm gesagt: «Djinkuje, Pjetka.» Er aber hat gefragt: «Was?» , und auch als ich beharre: «Aber vorhin, eben …» , hat er ein völlig verständnisloses, ahnungsloses Gesicht gemacht und erstaunt und ratlos den Kopf geschüttelt, sodass ich mir sagen muss, dass diesmal wohl ich eine Ungehörigkeit begangen habe und man gewisse Dinge offenbar mit sich allein abzumachen hat, wie es scheint. Aber ja nun, schließlich hatte sich alles nach den Regeln der Gerechtigkeit abgespielt – zumindest war das meine Meinung –, denn ich war ja vor dem Jungen da gewesen, und dann war er auch besser bei Kräften, und so bestand kein Zweifel, dass er da draußen mehr Chancen hatte; und außerdem fiel es mir offensichtlich leichter, mich in das Unglück eines anderen zu schicken als in das eigene: Diesen Schluss zu ziehen, diese Lehre anzunehmen blieb mir, wie immer ich es sehen, abwägen, umkreisen mochte, nicht erspart. Vor allem aber: Was sind schon solche Sorgen, wenn geschossen wird – denn zwei Tage später klirrte bei uns die Fensterscheibe, bohrte sich eine verirrte Kugel in die gegenüberliegende Wand. Des weiteren geschah es an diesem Tag, dass Pjetka, nachdem andauernd verdächtige Leute auf ein eiliges Wort zu ihm hereingeschaut hatten und er oft, manchmal auch länger, irgendwo verschwunden gewesen war, gegen Abend mit irgendeinem länglichen Bündel unter dem Arm im Zimmer wiederauftauchte. Ein Laken, dachte ich – aber nein, da war auch ein Stiel, also eine weiße Fahne, so schien mir, und mitten darin, gut eingewickelt, guckte so eine Spitze, ein Ende hervor, das ich in den Händen von Gefangenen bisher noch nie gesehen hatte, etwas, wodurch das ganze Zimmer in Bewegung, in ein Zischen, ein Aufstöhnen geriet, ein Gegenstand, den uns Pjetka – bevor er ihn unter seinem Bett versorgte – einen flüchtigen Augenblick lang sehen ließ, aber mit einem Lächeln, das Ding mit einer Bewegung an die Brust pressend, dass ich mich auch schon fast fühlte wie unter dem Weihnachtsbaum und endlich im Besitz des langersehnten kostbaren Geschenks: ein braunes Teil aus Holz und daraus hervorragend ein bläulich schimmerndes kurzes Stahlrohr, ein Karabiner mit abgesägtem Lauf, so fiel mir plötzlich auch die Bezeichnung ein, die ich einst in meinen von Räubern und Detektiven

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