Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
Treffen ihren Anfang genommen. Können Sie das bitte näher erläutern?«, erwiderte Gorbatschow: »Es war ein Treffen äußerst honoriger Leute, und mein Freund Tschingis Aitmatow wollte, dass ich sie kennenlerne. Ich sagte: ›Gut, aber nur ganz kurz!‹, aber schließlich saßen wir im Kreml mehrere Stunden lang zusammen. Es entwickelte sich ein reges Gespräch zwischen uns, da ich schon bald merkte, dass wir auf der gleichen Wellenlänge waren. Wir standen an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter nuklearer Bedrohung und bevorstehender Umweltkatastrophen, und so galt es, bestimmte universelle Werte über den nationalen Profit eines einzelnen Landes zu stellen. So etwas auszudrücken, bedeutete für mich als Generalsekretär damals einen Bruch mit herkömmlichen Denkstrukturen. Als unser Gespräch in der Presse erschien, wurden mir meine Worte von strammen Parteiideologen geradezu als Verrat ausgelegt. Als Generalsekretär wandelte ich gewissermaßen in den Fußstapfen Lenins, von dem ich auch ein Zitat verwendet hatte, laut dem das Proletariat manchmal die Interessen der Nation über seine eigenen zu stellen habe.«
Der Ostberliner Flughafen Schönefeld, auf dem ich damals landete, war für Fluggäste eine Strapaze. Er bedeutete endlos langes Anstehen, unangenehme Kontrollen, schleppende Gepäckabfertigung, und selbst danach war es noch mühsam genug, bis in den Westteil der Stadt zu gelangen. Doch dieses Mal holten mich zwei Männer in blauen Anzügen direkt vom Flugzeug ab und brachten mich mit einer Limousine in eine Art VIP -Bereich. Einer der beiden war niemand anderer als der Flughafendirektor.
Sie boten mir Kaffee an und fragten mich dann nach Gorbatschow aus, denn der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion war für sie ein hinter den Kremlmauern unerreichbar weit entfernter Halbgott, und ich hatte ihn gesehen und war noch dazu auf der Titelseite der Prawda gewesen.
Danach wurde ich ohne jegliche Grenzschikane nach Westberlin ins Hotel Kempinski gefahren. So ging die Behandlung als Staatsgast, die mir vom ersten Tag meiner Reise an widerfahren war, schließlich zu Ende, und eigentlich war das gut so, denn wenn man als Künstler falsche Pässe, langes Anstehen um Visa und strenge Grenzkontrollen gewöhnt ist, muss man den Kontrast erst verdauen.
Ich bin mit Michail Gorbatschow in den darauffolgenden Jahren noch mehrfach zusammengetroffen, in Istanbul, San Francisco, Moskau und Bischkek. Auf dem Issyk-See machten wir einmal eine gemeinsame Bootstour. Als ich ihn 1997 in Moskau für eine Zeitung interviewte, sagte er für vier bis fünf Jahre später einen Irakkrieg voraus. Und bei einem Treffen in Kirgisien fragte er mich einmal: »Wissen Sie eigentlich, von wem ich ein Bild auf dem Nachttisch stehen habe?«
»Von Lenin?«
»Nein, von Atatürk.«
In der Türkei erschien damals die erste Nachricht über unser Treffen mit Gorbatschow auf der letzten Seite von Cumhuriyet . Ich weiß nicht mehr, von welcher Agentur die Meldung stammte, doch interessanterweise fehlten in dem Artikel, in dem ansonsten alle Teilnehmer aufgezählt wurden, genau zwei Namen: der von Yaşar Kemal und meiner.
Kurz darauf rief mich aber jemand von der Zeitschrift Nokta in Berlin an; er habe gehört, ich sei bei dem Treffen dabei gewesen. Anschließend schrieb er einen Artikel, der in der Türkei einiges Aufsehen erregte, denn kurz davor war Ministerpräsident Turgut Özal in die Sowjetunion gereist und hatte bei Gorbatschow keinen Termin bekommen. Eine Gruppe von Künstlern zu empfangen, einen Ministerpräsidenten aber nicht, das löste in der Türkei Kopfschütteln aus.
Die mit Tschingis Aitmatow geschlossene Freundschaft sollte auch später nicht abreißen, und so sahen wir uns bei den Nachfolgetreffen in Granada, im Schweizerischen Wengen und auch andernorts wieder. Eines Tages erfuhr ich, Aitmatow sei zum sowjetischen Botschafter in Luxemburg ernannt worden. Später lud er mich dorthin ein, und als sich die Gelegenheit dazu bot, fuhr ich nach Luxemburg und fragte mich bis zur weit außerhalb der Stadt in einem Waldstück gelegenen Botschaft durch. Nach Passieren aller Sicherheitskontrollen stand ich vor einer Art Schloss und wurde von Bediensteten in einen hochherrschaftlichen Warteraum geführt. »Monsieur l’Ambassadeur« werde gleich eintreffen.
Tschingis Aitmatow, dessen Romane alle in den kirgisischen Bergen spielten, konnte ich mir nur mühsam in solch einem Ambiente vorstellen. Als »Monsieur
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