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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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und ich an jenem See, und einige Jahre später sollten wir uns sehr wundern, als uns ein Foto zugeschickt wurde, auf dem alle Teilnehmer von damals in der kirgisischen Hauptstadt als Statuen beieinanderstanden. Mit der Ähnlichkeit war es offen gestanden nicht weit her (mein Schnurrbart trug mir ein, dass ich eher wie Stalin aussah), aber als Zeichen der kirgisischen Gastfreundschaft erfüllte das Werk sehr wohl seinen Zweck.
    Wir flogen schließlich von Frunze nach Moskau zurück und wollten von dort nach Kopenhagen weiterreisen, wo Yaşar Kemal am Wochenende einen Termin hatte, aber Alex, ein Beamter des sowjetischen Außenministeriums, der in einem Spionagefilm gut und gerne die Rolle eines meuchelnden KGB lers hätte spielen können, versuchte uns davon abzuhalten.
    »Fahren Sie nicht nach Kopenhagen!«, sagte er.
    »Warum denn nicht? Wir sind doch hier fertig«, erwiderte ich.
    »Fahren Sie bitte nicht!« Als wir auf unserem Plan bestanden, flüsterte er uns ins Ohr: »Ich verrate Ihnen etwas: Bis jetzt weiß es noch keiner, aber am Montag werden Sie vom Genossen Gorbatschow im Kreml empfangen.«
    Das war in einem Ton gesagt, als würden wir vor das Angesicht Gottes treten. Tatsächlich war damals der Kreml noch nicht zur Touristenattraktion heruntergekommen, und mit einem sowjetischen Präsidenten zusammenzutreffen, noch dazu mit dem schon zur Legende gewordenen Michail Gorbatschow, hatte schon seinen Reiz.
    »Schön«, sagten wir, »aber wir haben in Kopenhagen eine Verpflichtung. Wir fahren einfach hin und sind am Sonntag wieder zurück.«
    Das taten wir dann auch. In Kopenhagen sagte uns aber das reservierte Hotel nicht zu, so dass wir uns ein anderes nahmen, was sich später als fatal herausstellen sollte. Nach unserem Rückflug über Stockholm standen wir am Sonntagabend am Moskauer Flughafen Scheremetjewo vor dem Zollbeamten. Der blickte in unsere Pässe und meinte dann trocken: »Und die Visa?« Wie jeder sowjetische Sicherheitsbeamte war er wohl überzeugt, dass wir seinem Land übel wollten, und musterte uns böse.
    Das Visum, das wir uns in der Türkei besorgt hatten, war bei unserer Einreise in die Sowjetunion, bei der man uns so zuvorkommend behandelt hatte, aus dem Pass genommen worden, und wir, die wir uns über alle Formalitäten erhaben fühlten, waren nun ohne Visum zurückgekommen. Das Misstrauen des Mannes war also nicht unberechtigt. Als die Schlange hinter uns immer länger wurde, nahm er uns beiseite und holte einen des Englischen mächtigen Vorgesetzten, der uns fragte, wozu wir ohne Visum überhaupt in die Sowjetunion wollten. Yaşar Kemal und ich sahen uns an, dann sagte ich flüsternd: »Wir sollen uns am Montag mit jemand Wichtigem treffen.«
    »Mit wem?«
    »Das dürfen wir nicht sagen.«
    Das kam dem Beamten seltsam vor, denn er brachte uns in einen Raum und schloss uns dort ein. Bald darauf traten mehrere Offiziere ein, die sich teils auf Englisch, teils über einen Dolmetscher an uns wandten. Nun hatten wir es also mit dem KGB zu tun, aber davon ließen wir uns nicht schrecken. Wir schmetterten alles mit der einen Antwort ab, dass wir in Moskau eine wichtige Person zu treffen hätten und nicht sagen dürften, wer das sei. Bis ich schließlich sagte: »Es ist eine sehr wichtige Person, sogar die allerwichtigste. Deshalb müssen wir schweigen. Geben Sie doch unsere Namen an das Außenministerium weiter oder an den Schriftstellerverband, dann erfahren Sie bestimmt, was Sie wissen wollen.«
    Es stand zu befürchten, dass am Sonntag bestimmt niemand anzutreffen wäre und wir wohl die Nacht beim KGB verbringen würden. Die Offiziere jedenfalls zogen ab. Etwa zwei Stunden lang blieben wir so im Ungewissen, bis hektisch die Tür aufgesperrt wurde und wir die aufgeregten Gesichter von Vera und Alex sahen. Unter achtungsvollen Grüßen der KGB -Offiziere wurden wir zu einer schwarzen ZIL -Limousine gebracht. Unterwegs berichtete Alex, die sowjetische Botschaft in Kopenhagen habe das ganze Wochenende nach uns gesucht. Da wir das Hotel gewechselt hatten, ohne jemandem Bescheid zu sagen, hatten sie uns nicht gefunden, und nur so habe es zu diesem Missverständnis kommen können.
    Ich sagte zu Alex: »Und trotz alledem haben wir nicht verraten, mit wem wir uns treffen werden.«

 
    A   m 2. Oktober wurden wir mit einem Bus vom Hotel Sowjetskaja abgeholt und zum Kreml gefahren. Wir warteten vor dem Saal, in dem das Treffen mit Gorbatschow stattfinden sollte, und wurden dann gebeten, einzeln

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