Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
Coca-Cola einfallen würde.
Sämtliche Kostüme ließen wir in einem Atelier in Istanbul schneidern. Der Winter war in dem Jahr ganz so, wie wir ihn brauchten, nämlich kalt und sehr schneereich, also so, wie es zu Brueghel passte. Als Jürgen Jürges mit seinen Mitarbeitern Peter und Cornelius nach Istanbul kam, beschlossen wir, gleich nach Erzincan zu fahren und vor Ort einen Drehplan zu erstellen.
Bei der Zwischenlandung in Ankara stellte sich heraus, dass der Flug nach Erzurum storniert worden war, und wir konnten erst mehrere Tage später weiterfliegen. Als ich Jürgen dann aus dem Flugzeug die endlose weiße Berglandschaft zeigte, sagte er: »Das ist ja echt das Ende der Welt hier.« Auf dem Landweg gelangten wir von Erzurum nach Erzincan und quartierten uns im Urartu-Hotel ein, das später bei einem Erdbeben zerstört werden sollte.
Unsere Ankunft erregte einiges Aufsehen. Einzeln oder gruppenweise kamen Schüler, Studenten, Fabrikarbeiter in unser Hotel und wollten mit uns sprechen, so dass ich mich irgendwann genötigt sah, unsere »Sprechstunde« auf die Zeit nach fünf Uhr abends zu beschränken.
Von all dem Trubel wurden schließlich der Gouverneur und der Polizeichef beunruhigt. Wir beschlossen, sie aufzusuchen, um die nötigen Genehmigungen einzuholen und uns um gute Beziehungen zu bemühen. Die Provinzbürokratie, mit der wir es zu tun bekamen, schien direkt aus Gogols Die toten Seelen oder einer Erzählung Tschechows zu stammen. Jürgen kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
Wir berichteten von unseren geplanten Dreharbeiten in dem Dorf Pinarlıkaya, das früher auf Armenisch Hinzoru geheißen hatte. Sofort warfen die Verantwortlichen ein, der Weg zu dem Dorf hinauf sei viel zu beschwerlich und sie könnten uns ungleich passendere Dörfer zeigen.
Der Gouverneur malte sich schon aus, welche Gefahren die Dreharbeiten für die Unversehrtheit des Vaterlands darstellen konnten. Immer wieder schlug er uns Dörfer vor, die keine zehn Minuten von Erzincan entfernt an der Hauptstraße lagen, aber die lehnten wir allesamt als ungeeignet ab. Der Polizeichef gab mir einen Beamten mit, der mich von da an nicht mehr allein ließ.
Ich konnte ihn nur einmal loswerden, nämlich als wir einen Jeep auftrieben und zu dritt versuchten, ins Dorf hochzufahren. Wir kämpften uns durch Schneeverwehungen, aber irgendwann blieben wir einfach stecken. Wir probierten uns freizuschaufeln und legten Bretter unter die Räder, aber vergebens. Um uns herum war alles weiß und erschreckend still. Es gab keine anderen Anzeichen für Leben als die Spuren von Wildschweinen und Wölfen. Mutlos ließ ich mich in den Schnee sinken. Wie sollten drei schwere Lastwagen dort hochgelangen, wenn wir es nicht einmal mit einem Jeep schafften? Nie und nimmer würden wir das Drehteam und die Ausrüstung nach Hinzoru bringen können. Ich schlug Jürgen und Peter vor, zu Fuß nach Erzincan zurückzugehen; vielleicht würden wir bis zum Abend dort ankommen. Aber Peter sträubte sich. Er war dafür, dass wir uns bis zum Dorf durchschlugen, wie weit es auch noch sein mochte.
»Gib nicht auf«, sagte er. »Vielleicht schaffen wir es ja irgendwie.« Er redete so lange auf uns ein, bis wir schließlich losstapften. Bei jedem Schritt versanken wir bis zu den Knien im Schnee, und manchmal auch viel tiefer, so dass wir uns mühsam wieder herausarbeiten mussten. Dabei spähten wir auch immer umher, ob sich nicht irgendwo Wölfe herumtrieben, denn bewaffnet waren wir nicht.
Nach stundenlangem Marsch stieg uns gegen Abend Rauchgeruch in die Nase. Es konnte also nicht mehr sehr weit sein. Nun begannen wir uns vor den Wachhunden zu fürchten, deren Bellen an unser Ohr drang. Ob diese Hunde, die selbst mit Wölfen fertig wurden, Fremde ans Dorf heranlassen würden?
S chließlich lag das Dorf vor uns. Die vereinzelten Häuser an einem der weißen Hänge boten einen märchenhaften Anblick. Durch den Schnee sah das Dorf so anders aus als im Sommer, dass ich es kaum wiedererkannte. Zum Glück wurden wir von den Dorfbewohnern rechtzeitig bemerkt und vor den Hunden geschützt.
Im größten Haus sprachen wir mit den Dorfältesten, die alle die für Aleviten so typischen ausladenden Schnurrbärte trugen. Seit ich im Sommer zum ersten Mal hier gewesen war, warteten sie auf die Dreharbeiten. Nun musste ich diesen braven Menschen von unseren Transportschwierigkeiten erzählen und dass wir den Film woanders drehen müssten, irgendwo unten in der Ebene.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher