Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
mich Jahre später, als ich meine ersten Platten herausbrachte, mit meinem Saz-Spiel von anderen Musikern abzuheben wusste, hatte ich allein jenem Derwisch zu verdanken. Manche Stücke konnte ich überhaupt nur komponieren, weil er mir den unendlichen Horizont der pentatonischen Musik eröffnet hatte.
Bevor ich den Derwisch kennenlernte, war mir die Saz nur ein nettes Spielzeug gewesen. Da ich die sogenannte Volksmusik, die aus dem Radio dröhnte, grauenhaft fand, übte ich viel lieber Stücke wie »Portofino«, »Tom Dooley« oder spanische Flamenco-Stücke. Die Musik des Derwischs aber war etwas ganz anderes. Sie war viel ernster und reicher. Erst später begriff ich, dass mir bei dem Derwisch ein Musterbeispiel an pentatonischer Musik zuteil geworden war, deren Verwandtschaft von fernöstlicher bis zu irischer Volksmusik reicht, von afrikanischen Klängen bis hin zum Blues. Diesen Tönen wohnte eine ganz besondere Harmonik inne.
Zurück in Ankara machte ich mich auf die Suche nach jemandem, der mir solch eine Saz anfertigen und das Spielen darauf beibringen könnte. Schließlich machte ich Yusuf Erenler ausfindig, einen untersetzten, schnauzbärtigen Mann mit vertrauenerweckenden Gesichtszügen. Als ich seine Werkstatt betrat, hobelte er gerade an einem Saz-Hals herum. Zwischen den Spänen stand ein Teeglas, aus dem er Rakı trank. Als ich ihm mein Anliegen mitteilte, musterte er mich kühl und fragte dann beinahe spöttisch: »Kannst du überhaupt spielen?« – »Klar!«, versetzte ich. Daraufhin nahm er eine Saz von der Wand und hielt sie mir hin. »Dann spiel mir was vor!« Ich nahm die Saz an mich und zeigte, was ich so konnte. Verwundert riss er die Augen auf: »Du kannst es ja tatsächlich.« Doch dummerweise fragte er nun: »Wie heißt du denn?«
»Ömer.«
Ich benutzte damals meine beiden Vornamen, mal den einen, mal den anderen, wie es mir gerade in den Sinn kam, und an dem Tag kam eben zufällig Ömer dran. »Was? Ömer?«, schrie der Meister mich an. »Mach, dass du aus dem Laden rauskommst!« Völlig entgeistert starrte ich ihn an. Ich hatte keine Ahnung, was in ihn gefahren war. Als er meine Bestürzung bemerkte, sagte er: »Du weißt es wahrscheinlich nicht, aber der Name Ömer ist bei uns verboten. Wenn Freunde in den Laden kommen und hier einen Ömer sehen, gibt es Ärger.«
Ich wusste damals noch nichts über die Aleviten. Nun sollte ich erfahren, dass die Namen Bekir, Ömer und Osman bei ihnen seit 1400 Jahren verpönt waren, da auf Mohammed drei Kalifen mit jenen Namen gefolgt waren, bevor der von den Aleviten verehrte Prophetenneffe Ali dieses Amt antrat.
»Ich habe aber noch einen Vornamen: Zülfü!«, sagte ich. Das versöhnte den Mann, leitete Zülfü sich doch von »Zülfikâr« ab, dem Schwert Alis.
Wir beide wurden sehr gute Freunde. Yusuf Erenler baute mir mehrere wundervolle Saz verschiedener Ausgestaltung und brachte mir die bei dem Derwisch gesehene Spieltechnik bei. Meine ersten Schallplatten spielte ich später auf Instrumenten ein, die aus der Hand jenes nun längst verstorbenen Meisters stammten.
Mein musikalisches Leben war aber nicht auf die Saz beschränkt. Zusammen mit Freunden spielte ich auch Gitarre und die langhalsige Tambur. Wir schrammelten Akkorde und sangen dazu die Hits der damaligen Zeit. Ich fand im Viertel genügend Gleichgesinnte, und so tönte unsere Musik in die betörend nach Akazien duftende Nacht hinaus. Das ging so über Jahre hinweg, und mit der Zeit hatte es uns das Künstlerische immer mehr angetan. Wir hörten die Beatles und versuchten uns etwa an dem berühmten Gitarrenstück »Apache« von den Shadows. Ganz für mich alleine arbeitete ich aber weiter an der alevitischen Musik, die später die Grundlage einiger meiner Kompositionen bilden sollte.
Unser Interesse galt auch anderen Kunstsparten. Zwei Freunde von mir bastelten bei sich zu Hause eine Filmzeitschrift zusammen, die aus selbstverfassten Kritiken und irgendwo ausgeschnittenen Fotos bestand. Das Ergebnis war von erstaunlicher Qualität, und einer der beiden brachte es später tatsächlich zum professionellen Filmkritiker.
Von meinen Theaterbesuchen ist mir am meisten eine Aufführung von Ionescos Die Nashörner in Erinnerung. Ich war vom absurden Theater so sehr beeindruckt, dass es mich danach schüttelte wie bei einem epileptischen Anfall. Ich besorgte mir sämtliche Bücher Ionescos und mutete Verwandten und Nachbarn zu, hinter dem Dialog »Hast du die kahle Sängerin gesehen? –
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