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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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meinen Teller nicht an, da ich fortwährend redete. Der Europarat stellte eine Hoffnung für uns dar, da er vielleicht imstande war, das wildgewordene Militärregime zu bremsen. Schließlich sagte Piet Dankert: »Na ja, wenigstens Sie haben diese schlimme Zeit hinter sich. Jetzt können Sie doch aufatmen!«
    Nun merkte ich erst, wie wenig der Mann über das Geschehen in der Türkei wusste. Ich bemühte mich, ihm klarzumachen, dass von einem Aufatmen keine Rede sein könne und jeder stets in Gefahr sei.
    »Aber wenn man Sie doch freigelassen hat«, entgegnete Dankert. »Das heißt doch, dass Ihre Unschuld bewiesen ist.«
    Ich setzte noch einmal an, um ihm die komplizierte Struktur der Türkei zu erläutern, als Ferit Öngören das Restaurant betrat. Er kam zu mir an den Tisch und sagte, er habe mir etwas Wichtiges mitzuteilen. Wir zogen uns in eine Ecke zurück, und dann flüsterte Ferit mir zu, er habe gerade seinen Bruder Vasıf Öngören im Gefängnis von Mamak besucht. Das Gespräch der beiden habe im Beisein von Polizisten stattgefunden, aber dennoch habe Vasıf seinem Bruder zuraunen können: »Die sind wieder hinter Zülfü her. Er soll abhauen.«
    Mir war, als stürze die Decke über mir ein. Ich würde also ein viertes Mal den Barbaren in die Hände fallen. Auch wenn wir irgendwoanders hinzögen: Sie würden uns nicht in Ruhe lassen. Mit hochrotem Kopf kehrte ich an den Tisch zurück und sagte zu Dankert: »Sehen Sie, ich bin das schönste Beispiel. Gerade habe ich erfahren, dass ich ein viertes Mal verhaftet werden soll.«
    Piet Dankert war bestürzt, aber er konnte nichts anderes tun, als mir für den Fall, dass ich ins Ausland gelangte, seine Hilfe anzubieten. Mein Entschluss war ohnehin gefasst. Ich würde mich den Barbaren nicht noch einmal ausliefern, denn sonst nahm das nie ein Ende.
    Nach dem Essen fuhr ich nach Hause. Ülker öffnete mir die Tür, und ich sagte: »Du, die suchen mich schon wieder«, da sah ich sie auch schon ohnmächtig zu Boden sinken.
    Später erläuterte ich ihr meinen Plan. Ich würde ins Ausland gehen, denn in der Türkei hatte ich keine Ruhe mehr. Sobald ich irgendwo etwas Festes hätte, würde ich die Familie dann nachholen.
    Onat Kutlar tat mir damals einen großen Gefallen. Er kannte jemanden, der politischen Flüchtlingen falsche Pässe ausstellte, und besorgte mir welche dieser von echten nicht zu unterscheidenden Papiere. Ich brauchte ihm nur zwei Fotos zu geben.
    An einem Freitag trafen Onat und ich uns, und er hielt mir den Umschlag mit dem Pass hin. Ich machte ihn erst zu Hause auf und sah dann in dem Pass mein Foto prangen, mit einem nüchternen Stempel darauf. Außer meinem Bild stimmte nichts in dem Pass, aber trotzdem wirkte er echt. Ich hieß nun Mehmet Yılmaz Basmacı.
    Eines Abends ging ich zum Bahnhof Sirkeci. Nach jener Nacht würde ich entweder frei oder wieder im Gefängnis sein. Ich fuhr zum ersten Mal im Leben ins Ausland. Kurz vor der Abfahrt des Zuges nach Deutschland wimmelte es am Bahnhof vor Menschen. In dem Raum für die Zollformalitäten wurde mein Koffer mit Kreide gekennzeichnet, dann ging ich auf den Bahnsteig. Ein Träger schnappte sich meinen Koffer. Er zeigte auf die Saz in meiner Hand und fragte: »Sind Sie etwa Künstler?«
    »Ja«, sagte ich, »ich bin Musikdirektor.«
    »Wie heißen Sie denn?«
    »Mehmet Yılmaz Basmacı.«
    »Ah!«, rief er aus, als sagte ihm der Name etwas. »Wissen Sie, ich bin selber Musiker und habe schon einiges komponiert. Ich würde gerne eine Schallplatte machen. Wenn Sie mir da behilflich sein könnten …«
    »Kann ich machen«, beschied ich dem Mann in meiner Not. »Ich bin jetzt ein paar Monate auf Europa-Tournee, aber wenn ich zurück bin, finden Sie mich leicht in Unkapanı, wo die ganzen Plattenfirmen sind.«
    Mir war der Mund ganz trocken vor lauter Aufregung. Der arme Träger strahlte vor Freude und trug mir den Koffer bis ins Zugabteil hinein. Dann war er plötzlich verschwunden, obwohl ich ihn noch gar nicht bezahlt hatte. Da sah ich ihn auf einmal wieder auftauchen, mit einem Polizisten an seiner Seite. Mir pochte das Herz, aber der Träger machte mich lediglich mit dem Polizisten bekannt und sagte: »Schau, das ist Mehmet Yılmaz, pass gut auf ihn auf!« Dann zog er wieder ab, und ich war nach alter anatolischer Tradition während der Reise jemandem anvertraut und ausgerechnet einem Polizisten.
    Das schwach beleuchtete Abteil war voll besetzt. Als der Zug sich rüttelnd in Bewegung setzte, dachte ich

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