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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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Kämpfen Sie gefälligst erst mal! Verlieren können Sie dann immer noch.«
    Hart war für mich, dass Ülker mir wegen eines Besuchsverbots lediglich Nachrichten überbringen konnte. Ich schrieb ihr dann auch jeweils auf einen Zettel eine Antwort. Danach sah ich sie durchs Fenster auf der Straße, in etwa dreihundert Meter Abstand.
    Auf einem ihrer Zettel stand etwas, das mich sehr rührte. Unsere Vermieter hatten Ülker angesprochen und ihr mitgeteilt, sie brauche keine Miete mehr zu zahlen, solange ich im Gefängnis sei, und sollte es auch Jahre dauern, denn sie wüssten ja, dass wir als junge Leute nicht über viel Geld verfügten. In jener bitteren Zeit, in der man oft aus lauter Angst sogar von Verwandten geschnitten wurde, war das ein wunderschöner Freundschaftsbeweis, der mir viel bedeutete. Es gab also noch tapfere und aufrechte Menschen auf der Welt.
    Ülker freute sich auch über dieses Angebot, wollte es aber dennoch nicht annehmen. Es widerstrebte ihr, in dem Haus umsonst wohnen zu bleiben, und außerdem wusste sie ja nicht, wann ich wieder herauskäme, so dass sie lieber zu ihrer Mutter nach Istanbul zog. Sie erbat sich von den Vermietern lediglich, unser Mobiliar für uns zu verwahren.
    Eine der buntesten Gestalten in unserer Zelle war ein Häftling aus Samsun, der mehrere Morde begangen haben sollte. Da er bereits in einigen Gefängnissen Aufstände angezettelt und zuletzt in der Haftanstalt von Amasya einen Brand gelegt hatte, war er zu uns ins Militärgefängnis gesteckt worden.
    »Als die mir gesagt haben, wo ich hinkomme, bin ich richtig erschrocken. Unter lauter Kommunisten!«
    Er kochte sich Tee auf seinem eigenen Gaskocher und spielte sich als derjenige auf, der kraft seiner Autorität in der Zelle für Ordnung sorgte. Abends trommelte er ein paar Schauspieler zusammen und ließ sich immer den gleichen Sketch vorspielen, über den er dann schallend lachte.
    Die Handlung ging auf eine Begebenheit zurück, die sich zwischen Ömer İnönü, dem Sohn des früheren Präsidenten, und einem Polizeikommissar abgespielt haben soll. Ömer İnönü wurde in dem Sketch wegen eines Verkehrsdelikts auf die Polizeiwache gebracht und dort von einem Kommissar so lange angeschnauzt, bis jener bei der Aufnahme der Personalien zum Familiennamen des Beschuldigten kam und es daraufhin mit der Angst zu tun bekam. Obwohl dieser Dialog durch die allabendliche Wiederholung an Wirkung einbüßte, konnte der Mörder Hüseyin immer wieder darüber lachen. Hin und wieder wurde er zu einer Gerichtsverhandlung nach Samsun gebracht, und bei seiner Rückkehr steckte er den Gendarmen Geld zu, damit sie ihn bis zum Abend freiließen. Daraufhin betrank Hüseyin sich sinnlos und wurde schließlich im Vollrausch ins Gefängnis gebracht.
    »Nüchtern schaffe ich es nicht zurück«, sagte er. »Ich muss schon bewusstlos sein.«
    Nur einmal kam er nüchtern zurück und fürchterlich wütend. Wir wussten, dass er bis zum Abend wieder da sein musste, doch beim letzten Abzählen war er immer noch nicht da, so dass wir schon dachten, er sei abgehauen. Er war ja schon einmal aus dem Gefängnis von Rize geflüchtet, indem er seine Zellenwand mit Essig aufgeweicht hatte.
    Schließlich kam er doch, ganz außer sich. Er hatte mit einem Polizisten ausgemacht, sich um sechs Uhr am Ulus-Platz zu treffen und dann gemeinsam ins Gefängnis zurückzukehren. Als der Polizist auch lange nach der vereinbarten Zeit noch nicht eingetroffen war, hatte Hüseyin sich auf die Suche nach ihm gemacht und ihn schließlich in der Wohnung eines Freundes aufgetrieben. Er hatte ihn ordentlich verprügelt und sich danach von ihm in Handschellen ins Gefängnis zurückbringen lassen. Schnaubend rief er: »Spielt der Dreckskerl mit meiner Zukunft!«

 
    E   ines Abends wurden neue Gefangene zu uns in die Zelle gebracht, an die zehn Personen. Es stellte sich heraus, dass es Waffenschmuggler waren. Sie beteten in einem fort, und vom ersten Tag an kam es zwischen ihnen und uns zu Reibereien. Sie sorgten dafür, dass in der Türkei junge Menschen aufeinander schossen, und blickten feindselig auf uns »Meinungstäter« herab. Schließlich kam es zu einer größeren Auseinandersetzung, die in eine Schlägerei ausartete. Da griff Hüseyin ein, zerrte uns auseinander und baute sich zwischen den beiden Gruppen auf. »Hört auf, euch zu schlagen! Ihr hier seid gläubige Muslime, und ihr seid Kommunisten, aber in dieser Zelle müsst ihr miteinander auskommen. Deshalb legen wir

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