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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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war.
    Ich hatte allergrößte Mühe, das zu glauben, und ließ es Ferhat wieder und wieder erzählen. »Wenn ich es dir sage: Auf Demos und auf Trauermärschen singen Tausende deine Lieder!«
    Schließlich glaubte ich ihm. Und sagte mir innerlich immer noch: Nein, das ist unmöglich!
    Wie ein Stein kam ich mir in Stockholm vor, der in einem tiefen Brunnen liegt, so weit entfernt von allem, und konnte mir nicht vorstellen, irgendwo gehört zu werden.
    Diese Nachricht aber wurde in meinem Leben zu einem Wendepunkt.

 
    F   erhat brachte auch eine Schallplatte der Firma Halkın Sesi (Volkes Stimme) mit, auf deren grüner Hülle aus dünnem, schlechtem Papier mein Name stand. Auf der Vorderseite war ein Mann hinter Gittern gezeichnet, auf der Rückseite stand rätselhafterweise »Unseren Mütter«. Wenn man die Platte abspielte, krächzte es derartig, dass man um seine Nadel bangte. Jemand hatte also meine in Belgien produzierte Platte kopiert und in der Türkei in Umlauf gebracht. Ich hatte mir mit der Gestaltung der Plattenhülle große Mühe gegeben und für die Coverzeichnung den in Schweden lebenden Maler Rauf Alazan gewinnen können.
    Nun aber bekam ich zum ersten Mal eine Ahnung davon, wie schwer es in der Türkei ist, sein Image selbst zu gestalten. Was »Volkes Stimme« da angerichtet hatte, war nur der Anfang. Über Jahre hinweg würde ich einen beständigen Kampf gegen Raubkopien meiner Schallplatten und Kassetten zu führen haben.
    Als Ülker und ich später einmal in die Türkei fuhren, sammelten wir bei Straßenverkäufern die Raubkopien meiner Kassetten ein, und mit der Zeit wurde uns das richtig zur Gewohnheit. Insgesamt stießen wir auf knapp 60 verschiedene. Damaligen Gepflogenheiten zufolge musste auf einer Kassette ein Bild des Künstlers prangen, das sich aber von der Hülle der originalen Schallplatte leicht abkupfern ließ. Nun hatte ich aber auf meinen ersten Platten kein Bild von mir verwendet. So mussten sich die Raubkopierer etwas anderes einfallen lassen.
    Auf einer der Kassetten war ein Mann mit einem rekordverdächtig langen Schnurrbart abgebildet, und daneben stand wie selbstverständlich »Zülfü Livaneli«. Mal sah der Musiker auf der Hülle wie ein Student aus, mal wie ein anatolischer Volkssänger. Die Gestaltung konnte auch je nach Verkaufsort variieren; so machten wir im schicken Bebek am Bosporus mal eine Kassette ausfindig, auf deren Hülle ein junger Mann im roten Pullover neben einem Baum stand, während im Hintergrund, vor romantischer Bosporus-Kulisse, ein Mädchen an einem Mercedes lehnte.
    Auf all diesen Kassetten meinen eigenen Namen zu sehen, berührte mich seltsam. Und damit nicht genug: Sie handelten mir damit auch immer wieder Verhöre ein. Über mir schwebte beständig das Damoklesschwert einer abermaligen Inhaftierung. Militär- und Zivilstaatsanwälte befragten mich zu jeder Kassette, die ihnen in die Hände fiel. An die Raubkopierer kamen sie ja nicht heran, an mich dagegen sehr wohl.
    Das ging auch so weiter, nachdem ich durch die Amnestie des Jahres 1974 nicht mehr wegen meiner ersten Platte belangt wurde. Bei jeder Befragung und vor allem nach dem dritten Militärputsch 1980 versuchte ich den Staatsanwälten begreiflich zu machen, dass ich mit den besagten Kassetten nichts zu tun hatte. »Dann beweisen Sie das!«, konterten sie. Wie aber sollte ich das?
    So widerfuhr mir von Raubkopierern nichts als Ungemach. Und der Staat, dessen Aufgabe es eigentlich gewesen wäre, mich vor ihnen zu schützen, tat sich gewissermaßen mit ihnen zusammen. Von Urheberrechten hatten die Staatsanwälte nie etwas gehört, und jede Achtung vor der Kunst war ihnen ohnehin fremd.
    Schließlich bekam ich es auch noch mit »Konzertpiraterie« zu tun. Leute aus allen Teilen der Türkei beschuldigten mich, ich sei zu angekündigten Konzerten nicht erschienen. Auf der Straße sprach mich einmal eine Gruppe junger Leute an. »Neulich in Muğla haben die Zuschauer stundenlang auf Sie gewartet. Manche waren sogar aus Bergdörfern gekommen. Wirklich schade.« Dabei hatte ich von einem Konzert in Muğla nicht die mindeste Ahnung. Das gleiche wiederholte sich in Denizli, in Kırşehir, in Antalya. Schließlich kam ich dahinter, dass zwei Männer mit fingierten Konzertplakaten von Provinz zu Provinz reisten und sich als meine Manager ausgaben. Sie kündigten Konzerte von mir an, ließen sich Vorschüsse auszahlen und machten sich damit aus dem Staub. Am betreffenden Tag kamen dann die Zuschauer

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