Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
jemand drin! Das ist bestimmt unterwegs in Bulgarien passiert.« Sie hörten sich an wie ein schlecht einstudierter Laienchor.
Wir begriffen erst gar nicht, was los war. Als wir den Waggon betraten, trauten wir unseren Augen nicht: Es war alles durcheinandergeworfen und vieles kaputt. Auf unserer Musikanlage musste jemand herumgetrampelt sein, zerbrochene Platten lagen herum, und die Bücher waren über den ganzen Waggon verstreut. Die Beamten wollten uns ein Papier unterschreiben lassen, dass wir unsere Sachen unversehrt in Empfang genommen hätten. Immer wieder lamentierten sie über die räuberischen Bulgaren, ohne sich aber mit ihren Lügen viel Mühe zu geben.
Wir befanden uns auf einem abgelegenen Teil des Bahnhofsgeländes, und um uns herum standen zahlreiche Zollbeamte und Träger, die uns einzuschüchtern suchten. Als wir uns weigerten, das Papier zu unterschreiben, und stattdessen Anzeige erstatten wollten, wurden sie fuchsteufelswild. Sie räumten den Waggon leer und warfen dabei die Bücher einfach auf den Bahnsteig. Das war nun mal das Schicksal meiner Bücher: auf Beton geworfen zu werden.
Ein fetter, primitiv wirkender Glatzkopf schrie: »Seit dieser Halunke an der Macht ist, kann ich ohne Beruhigungsmittel sowieso nicht mehr schlafen.« Mit dem Halunken meinte er den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Ecevit. Es war wie in einem Albtraum. Schließlich sollten wir noch Schmiergeld zahlen, um unsere Sachen mitnehmen zu dürfen. »Ich habe noch nie Schmiergeld gezahlt und tue es auch jetzt nicht«, rief ich. »Dann soll eben alles hierbleiben. Ich will es gar nicht mehr.«
»Das geht aber nicht.«
»Lieber schlage ich alles kurz und klein.«
»Dann zeigen wir Sie an wegen Beschädigung von öffentlichem Gut.«
Teure Möbel hatten wir zwar nicht, aber was uns am wertvollsten war, nämlich die Musikanlage, die Platten und die Bücher, war vielfach beschädigt. Bitter enttäuscht ließen wir alles stehen und liegen und gingen in ein Hotel, um erst einmal nachzudenken.
Am nächsten Tag nahm uns ein älterer Träger beiseite. »Die ärgern sich ja nur, weil Sie mit so wenig Sachen gekommen sind«, sagte er. »Da trifft ein Riesenwaggon aus Schweden ein, und drinnen sind nichts als Bücher. Hätten Sie hundert Fernseher dabeigehabt und zehn davon denen gegeben, hätte man Sie auf Händen getragen.«
Irgendwann waren die Leute vom Zoll es anscheinend leid, sich um uns zu kümmern, und wir konnten unsere Sachen abholen.
Es war gerade wieder eine Zeit, in der die Spannungen zwischen Linken und Rechten zunahmen und es vermehrt zu politischen Morden kam. Dennoch waren wir glücklich, wieder in der Türkei zu sein, und genossen unser Leben.
Ich lernte die beiden Musiker Attila Özdemiroğlu und Şanar Yurdatapan kennen, die von meinen in Schweden aufgenommenen Platten eine Orchesterversion produzieren wollten. Wir gingen in ein kleines Tonstudio im obersten Stockwerk eines uralten Hauses in Beşiktaş und arbeiteten dort mit zwei Teac-Vierspurrekordern, die für die Aufnahmen ungenügend waren, so dass wir die Streicher und die anderen Instrumente zusammenmischen mussten; eine äußerst mühselige Arbeitsweise. Die beiden Aufnahmegeräte mussten synchron laufen, was aber nur dadurch zu bewerkstelligen war, dass der Tontechniker das eine Gerät mit einem Gummiband ab und zu von Hand bremste. Noch dazu setzte immer wieder, wenn wir gerade spielten und sangen, das herzzerreißende Gewimmer des Aufzuges ein. Und als wäre das noch nicht genug, fiel auch noch oft der Strom aus.
Trotz aller Schwierigkeiten habe ich jene Tage in guter Erinnerung. Technisch waren wir unzureichend ausgerüstet und hatten unsere liebe Mühe, aber seelisch waren wir in genau der Verfassung, die es braucht, um eine gute Platte zustande zu bringen. Wir feilten unermüdlich, bis ein in sich geschlossenes Werk entstand. Die von den besten Musikern des Istanbuler Sinfonieorchesters hervorgebrachten Klänge vermischten sich mit Tönen aus volkstümlichen Instrumenten. Die Querflöte harmonierte mit der Cura, die Geige mit der Saz, und am Ende hatten wir eine fertige Platte mit dem Titel Nâzıms Lieder .
Der Erste, dem wir sie zu hören gaben, war Vasıf, und der sagte sogleich: »Die ist wunderbar geworden, Zülfü, aber jetzt habe ich Angst um dich. Die werden dir ganz schön zusetzen.«
Damit sollte er Recht behalten. Als die Platte herauskam, wurde sie von den linken Intellektuellen, die in den Bars von Beyoğlu und speziell
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