Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
sollen, nämlich einen Volkssänger, der, von zwei Gendarmen bewacht, mit seiner Saz in einem Zug sitzt und beim Aussteigen ein Revolutionslied anstimmt, mit dem er den ganzen Zug in Aufruhr versetzt.
Nach dem Ende der Dreharbeiten nahmen wir in Istanbul die Musik dazu auf. Ich war bereits lange auf der Suche nach einer Männer- und einer Frauenstimme gewesen. Im Konservatorium für türkische Musik fand ich den Studenten Ali, der aus Ostanatolien stammte und das dortige kehlige Singen beherrschte, das in dem Film dann auch gut zur Geltung kam. In der Türkei durfte damals das Wort »kurdisch« nicht in den Mund genommen werden, und wer sagte, es gebe ein solches Volk und eine solche Sprache, der musste mit hohen Gefängnisstrafen rechnen. Im staatlichen Radio war immer von einer »ethnischen Gruppe« die Rede, wenn es eigentlich um die Kurden ging, und so erlaubte ich mir den Spaß, eine der schönsten Tonarten der türkischen Musik, nämlich die »kurdische Hicazkâr«, als »ethnische Hicazkâr« zu bezeichnen. In dem Film nun wurde zum ersten Mal ganz offen kurdische Musik in kurdischer Sprache verwendet.
Vor einer Handvoll Mitwirkender wurde der Film, der den Titel Die Herde trug, im Studio zum ersten Mal ganz gezeigt. Als am Ende das Licht wieder anging, herrschte langes Schweigen. Der Regisseur und seine engsten Mitarbeiter sagten nichts, da sie erstens ihre eigene Arbeit nicht kommentieren wollten und zweitens vor der Autorität des inhaftierten Yılmaz Güney großen Respekt hatten. Schließlich rief ich aus: »Das ist ein Meisterwerk und wird in der Türkei und im Ausland Erfolg haben. Ihr werdet es sehen.«
Das sollte sich bewahrheiten. Die Herde ging als eines der wichtigsten Werke in die Geschichte des türkischen Films ein und wurde mit allen bedeutenden Preisen ausgezeichnet. Als ich in jenem Jahr 1978 unter Beifall den von Filmkritikern verliehenen Preis für die beste Filmmusik entgegennahm, dachte ich, dass meine Exilperiode damit endgültig abgeschlossen sei. Die Verwendung der kurdischen Musikelemente hatte sich als richtig erwiesen. In Kinos wurde an den entsprechenden Stellen oft applaudiert.
Einige Jahre später kam es zu einem Kontakt mit dem deutschen Schallplattenlabel ECM . Der Produzent Peter Schulze von Radio Bremen rief dessen Chef Manfred Eicher an und schlug ihm vor, meine Platten herauszugeben. Eicher erwiderte, mit türkischer Musik habe er zwar vorläufig keine Pläne, aber wenn der Kerl aufzutreiben sei, der die Musik zu Die Herde geschrieben habe, dann wolle er sofort mit ihm arbeiten; den suche er nämlich schon lange.
Unsere damalige Zusammenarbeit bei der Produktion des Films habe ich noch heute als das in der Türkei herausstechendste Projekt künstlerischer Solidarität in Erinnerung. Der ganz uneigennützige Geist, der uns antrieb, floss in den Film ein. Die Sache war ein schönes Beispiel dafür, wozu Künstler imstande sind, wenn sie auf Eifersüchteleien verzichten. Leider durfte ich eine derartige Zusammenarbeit nie wieder erleben.
1979 begegnete ich Maria Farantouri zum ersten Mal persönlich. Ich war gerade in Essen und sah dort lauter Plakate für ein gemeinsames Konzert von Maria Farantouri, Juliette Gréco und Miriam Makeba. So ging ich am Abend in die Gruga-Halle und fragte in der Garderobe nach Maria Farantouri. Kurz darauf kam sie auch schon. »Sie sind also Livaneli!«, rief sie aus.
Später sollte sich erweisen, dass wir mit unserem Gespräch in Essen den Grundstein zu einer langjährigen Freundschaft und Zusammenarbeit legten. Maria sagte mir, dass man sie gebeten habe, zum fünfzehnjährigen Bestehen des Filmzentrums Sinematek in Istanbul ein Konzert zu geben, und wir vereinbarten, uns dort wiederzutreffen. Als sie ein paar Monate später kam, lud ich sie mit ihrer ganzen Gruppe zu mir nach Hause ein, und bei dem Konzert sangen wir dann Stücke von mir. Dass wir gemeinsam auf der Bühne standen, wurde von der türkischen Presse überwiegend positiv aufgenommen und das zu einer Zeit, als freundschaftliche Beziehungen zwischen Griechen und Türken als Tabu galten.
Maria war sehr zufrieden mit ihrem Türkeiaufenthalt und lud mich kurz darauf nach Griechenland ein, wo ich auf dem Athener Sommerfestival an zwei von Marias Konzerten als Gast teilnehmen sollte.
Auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt sah ich schon lauter Konzertplakate und merkte erst später, dass auch mein eigener Name darauf stand.
Die Konzerte fanden in einem fünftausend
Weitere Kostenlose Bücher