Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)
im Papirüs herumhingen, gnadenlos zerrissen. Aus ihrer Unvertrautheit mit dieser Art von Musik heraus galt es ihnen als Sakrileg, Nâzıms Verse mit so viel Rhythmik und Harmonie zu unterlegen.
»Im Papirüs heißt es, du hättest mit dieser Platte künstlerischen Selbstmord begangen«, sagte Vasıf.
»Was soll ich machen«, erwiderte ich. »Das ist nun mal die Musik, die ich empfinde, und ich stehe zu ihr.«
Zum Glück hatten die Zuhörer mehr Einsehen und ließen die Platte auf die Nummer eins der Verkaufslisten schnellen, wo sie monatelang blieb. Und bedeutsam war mir auch ein Brief von Abidin Dino, der folgendermaßen endete:
»Ach, Nâzım, ich weiß ja nicht, ob ich vom Glück einmal ein Bild werde malen können, aber unser Zülfü ist verdammt nah dran an einer Musik vom Glück.«
D er Film Der Bus , für den ich in Schweden die Musik geschrieben hatte, kam in der Türkei erst heraus, als ich selbst wieder zurück war, und ich bekam daraufhin mehrere Angebote, Filmmusik zu komponieren. Bei dem ersten Auftrag für einen Film im Bergarbeitermilieu war mir die Istanbuler Musikszene noch nicht vertraut genug, und mir gelang auch die Hauptmelodie nicht richtig. So musste ich noch ein paar Monate warten, bis ich zum ersten Mal Erfolg hatte.
Eines Tages wurde ich von einem Bekannten informiert, der in İzmit einsitzende Schauspieler und Regisseur Yılmaz Güney wolle mich sprechen. Ich wusste, dass er im Gefängnis ein Drehbuch geschrieben hatte und man sich in seinem Umfeld darum bemühte, mit unengeltlich arbeitenden Freunden und Bekannten einen Film daraus zu machen. Seinen Wunsch, mich zu sehen, brachte ich damit in Verbindung, aber da sollte ich mich täuschen.
Eines Morgens fuhren wir also ins Gefängnis von İzmit, wo Yılmaz Güney uns im Büro des stellvertretenden Direktors empfing und uns Tee servieren ließ. Er genoss im Gefängnis gelinde gesagt große Achtung.
Von manchen Menschen geht eine ganz besondere Energie aus, die man schon beim Händeschütteln spürt. Yılmaz Güney war so jemand. Sogar wenn er bewegungslos dasaß, vermittelte er den Eindruck einer angespannten Stahlfeder. Aus seinem Selbstvertrauen heraus schlug er jedermann gegenüber einen gemäßigten, in keiner Weise um Rechtfertigung bemühten Ton an, wie dies bei Menschen aus Ostanatolien oft zu beobachten ist. So fanden wir gleich zueinander.
»Sie sehen ja, wie es hier um mich steht. Ich könnte mich jederzeit aus dem Staub machen, aber so bekannt, wie ich bin, könnte ich mich in der Türkei ja doch nicht verstecken. Also müsste ich ins Ausland, aber wie soll ich es da aushalten?«
Als wir uns ein paar Jahre später an der französisch-schweizerischen Grenze in dem Bergdorf wiedersahen, in dem er sich versteckt hielt, fielen mir diese Worte wieder ein. Bald darauf aber erfuhr ich von seinem frühen Tod.
Als Yılmaz sagte, er habe mir einen Vorschlag zu machen, unterbrach ich ihn sogleich und beteuerte, ich würde für seinen Film alles tun, was in meiner Macht stünde, und um die Musik brauche er sich keine Sorgen zu machen. Er aber entgegnete, ich solle in dem Film als Schauspieler auftreten. Das verblüffte mich derart, dass ich gar nicht wusste, was ich sagen sollte. Schließlich war ich kein Schauspieler und konnte ein solches Angebot keinesfalls annehmen. Yılmaz aber ließ nicht locker. »Denken Sie wenigstens darüber nach!«
»Wie soll ich denn plötzlich schauspielern können?«
»Sie brauchen nichts zu spielen, ich habe die Rolle ja für Sie geschrieben.« Mit geneigtem Kopf sah er mich an.
Als ich mich verabschiedete, versprach ich, tatsächlich darüber nachzudenken. Auf der Rückfahrt war mir äußerst unwohl zumute. Durfte ich ihm, der doch im Gefängnis saß, diesen Wunsch abschlagen? Andererseits konnte ich wirklich nicht schauspielern und wusste nicht, wie ich ihm das begreiflich machen sollte.
Nach tagelangem Nachdenken kam mir eine Idee. Ich würde Yılmaz noch einmal im Gefängnis besuchen und ihn bitten, auf meiner nächsten Platte ein Lied zu singen. Ich würde einen Rekorder mitbringen, und in dem Büro, in dem wir uns trafen, könnte gleich die Aufnahme stattfinden. Nun, ich war mir sicher, dass er ablehnen würde.
Das tat er dann auch. »Wie soll denn das gehen, ich bin doch kein Sänger?«, sagte er.
»Und ich bin eben kein Schauspieler, haben Sie also bitte auch Verständnis für mich.«
Er ließ daraufhin von seinem Vorhaben ab und erzählte mir nur noch, wen ich hätte spielen
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