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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
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Ähnlichkeit unserer Gefühle veranlasste mich, zu Stein zu gehen, ihn fest und eng an der Taille zu fassen und derart vereint mit ihm den Gang entlangzuschreiten.

7
    In den zwei Wochen bis zum Beginn der Abschlussprüfungen, im April, als der Krieg mit Deutschland schon etwas über eineinhalb Jahre wütete, hatten alle Kameraden um mich herum, wie auch ich selbst, schlechterdings jedes Interesse an diesem verloren.
    Ich erinnerte mich noch gut daran, wie aufgeregt ich in den ersten Tagen der Kriegserklärung gewesen war, und dass diese Aufregung außergewöhnlich angenehm war, kühn und wohl sogar einfach freudig. Den ganzen Tag zog ich durch die Straßen, untrennbar vereint mit der – genau wie an den Ostertagen – feiernden Masse, und gemeinsam mit dieser Masse schrie ich sehr viel und beschimpfte ich sehr laut die Deutschen. Aber ich beschimpfte die Deutschen nicht, weil ich sie hasste, sondern nur, weil mein Geschimpfe und Gezeter jener Nagel waren, der mir, je tiefer ich ihn einschlug, umso mehr die höchst angenehme Gemeinsamkeit mit der mich umgebenden Masse zu spüren gab. Hätte man mir in diesen Stunden einen Hebel gezeigt, mir vorgeschlagen, daran zu ziehen, und gesagt, dass beim Umlegen dieses Hebels ganz Deutschland in die Luft ginge, dass alle draufgingen, dass beim Umlegen dieses Hebels nicht ein einziger Deutscher am Leben blie be – ich hätte nicht lang gefackelt, hätte mit Vergnügen am Hebel gezogen und mich noch verbeugt. Zu sehr war ich davon überzeugt, dass, wäre so etwas machbar und möglich gewesen, die Masse frenetisch und wild triumphiert hätte.
    Wahrscheinlich war es diese Berührung im Geiste, diese süße Gemeinsamkeit mit einer solchen Masse, die meine Einbildungskraft hinderten, sich so zu entfalten, wie es einige Tage später geschah, als ich in meinem dunklen Zimmerchen auf dem Sofa lag und mir ausmalte, dass man auf das Schafott inmitten eines großen Platzes, der mit Menschen angefüllt ist, einen weißen, germanischen Jungen zu mir führt, den ich erschlagen sollte. «Erschlag ihn » , sagt, nein befiehlt man mir, «erschlag ihn, schlag ihm den Schädel ein, schlag ihn, als hinge dein Leben davon ab, das Leben deiner Lieben, das Glück, die Blüte deines Vaterlandes. Erschlägst du ihn nicht – so wirst du hart bestraft .» Ich aber schaue auf den blonden Scheitel dieses deutschen Jungen, in seine wässrigen und flehenden Augen – werfe das Beil von mir und sage: «So sei es – ich weigere mich .» Als die Masse meine Antwort hört, meine opferbereite Verweigerung, klatscht sie wild jubelnd in die Hände. So träumte ich wenige Tage danach vor mich hin.
    Aber wie in meiner ersten Vorstellung, wo ich mit dem einfachen Umlegen eines Hebels sechzig Millionen Menschen zerstören konnte, ließ ich mich dabei durchaus nicht von der Feindschaft zu diesen Menschen leiten, sondern nur von dem erhofften Erfolg, der mir zuteilwerden würde, wenn ich so etwas täte; ebenso ließ ich mich bei der Weigerung, den vor mir stehenden Jungen zu erschlagen, weniger von dem Skrupel, das Blut eines anderen zu vergießen, weniger von dem Wert eines Menschenlebens leiten als vielmehr von dem Streben, meiner Persönlichkeit jene Einzigartigkeit zu verleihen, die umso größer wurde, je härter die Strafe war, die mich für meine Weigerung erwartete.
    Schon nach einem Monat kühlte mein Verhältnis zum Krieg ab, und wenn ich mit aufgewärmter Begeisterung in der Zeitung las, dass die Russen irgendwo die Deutschen geschlagen hatten, dann meinte ich: «Geschieht euch recht, ihr Schweinehunde, was wollt ihr auch in Russland .» Nach einem weiteren Monat, wenn ich von einem Sieg der Deutschen über die Russen las, sagte ich genauso: «Geschieht euch recht, ihr Schweinehunde, hättet ihr euch besser nicht mit den Deutschen angelegt .» Wieder einen Monat später ärgerte ich mich über ein Furunkel auf meiner Nase, das mich beschäftigte und aufregte – zwar nicht mehr, aber in jedem Fall ehrlicher als der ganze Weltkrieg. In all diesen Worten – Krieg, Sieg, Niederlage, Tote, Gefangene, Verletzte – , in diesen schauderhaften Worten, die in den ersten Tagen so furchtbar lebendig gewesen waren wie Karauschen zwischen den Händen, in diesen Worten war das Blut, mit denen sie geschrieben worden waren, für mich vertrocknet, aus dem Blut war Druckerschwärze geworden. Diese Worte waren wie eine defekte Glühbirne: Die Lampe war eingestöpselt, aber die Birne leuchtete nicht – man redete, aber die

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