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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
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deshalb, dass meine häufigen Rendezvous mit dieser Frau (also mit Sonja) ausschließlich auf erotische Bedürfnisse zurückzuführen seien, die sie verblüffend gut anfachen und befriedigen könne. Die Zweiteilung, die Gespaltenheit in mir zeigte sich dabei weniger in der Lüge, die über meine Lippen kam, als darin, wie echt, wie überzeugend der unverfrorene Draufgänger und ganze Kerl bei mir durchbrach.
    Gespalten waren die Gefühle zu den Menschen um mich herum. Unter dem Einfluss meiner Gefühle zu Sonja wurde ich, im Vergleich zu früher, ausnehmend gutherzig. Ich verteilte großzügig Almosen (wenn ich alleine war, großzügiger als in Sonjas Gegenwart), alberte ständig mit der Njanja herum, und als ich einmal spät in der Nacht auf dem Weg nach Hause war, nahm ich eine Prostituierte in Schutz, die jemand im Vorübergehen beschimpft hatte. Diese für mich neue Haltung anderen Menschen gegenüber, dieses euphorische Verlangen – wie es so schön heißt –, die ganze Welt zu umarmen, brachte aber sofort das Verlangen mit sich, ebendiese Welt zu zerstören, sollte irgendjemand auf den Gedanken kommen, und sei es indirekt, sich meinem Verhältnis zu und meinen Gefühlen für Sonja in den Weg zu stellen.
    Nach einer Woche waren die hundert Rubel, die mir Jag gegeben hatte, aufgebraucht. Ich hatte nur noch wenige Rubel übrig, die nicht ausreichten, um mich mit Sonja zu treffen, denn an diesem Tag hatten wir vereinbart, zusammen zu Mittag zu essen, danach nach Sokolniki 26 zu fahren und dort bis zum Abend zu bleiben.
    Nachdem ich angewidert meinen Morgenkaffee geschlürft hatte, beherrscht von einem beunruhigenden Sattheitsgefühl, das sich – beim Gedanken daran, was nun werden würde und wie ich es schaffen könnte, trotz meiner Mittellosigkeit all diese Tage mit Sonja zu verbringen – zu einem schneidenden Schmerz im Magen steigerte, ging ich zu Mutter ins Zimmer und sagte ihr, dass ich Geld bräuchte. Mutter saß in ihrem Sessel am Fenster und war an diesem Tag irgendwie besonders gelblich. Auf ihren Knien lagen ineinander verworrene bunte Garne und eine Stickerei, aber ihre Hände lagen da wie hingeworfen, und ihre verblichenen alten Augen blickten mit bleierner Unbeweglichkeit in die Ecke. «Ich brauche Geld » , wiederholte ich, und entengleich spreizte ich dabei die Finger, da Mutter sich nicht rührte, «ich brauche Geld, und zwar sofort .» Mit sichtlicher Mühe hob Mutter ein wenig die Hände und ließ sie in ergebener Verzweiflung wieder fallen. «Nun » , sagte ich, «wenn du kein Geld hast, dann gib mir deine Brosche zum Verpfänden .» (Diese Brosche war für Mutter geradezu heilig und das einzige Erinnerungsstück an meinen Vater.) Mutter antwortete noch immer nicht und blickte weiter bleiern vor sich hin; dann tastete sie mit elendiglich zitternder Hand unter ihrer alten Bluse und zog von dort einen kanariengelben Pfandschein hervor. «Aber ich brauche Geld » , brüllte ich in weinerlicher Verzweiflung bei der Vorstellung, dass Sonja schon auf mich warten und ich nicht zu ihr gehen könnte, «ich brauche Geld, ich werde die Wohnung verkaufen, ich werde vor nichts zurückschrecken, um es zu beschaffen .» Schnell durchquerte ich unser kleines Esszimmer und rannte aus irgendeinem Grund in den Flur hinaus, wo ich auf die Njanja stieß. Sie hatte gelauscht. «Zum Teufel mit dir, du hast mir gerade noch gefehlt » , sagte ich, stieß sie hart zur Seite und wollte vorbeigehen. Die Njanja, zitternd vor der eigenen Courage, packte jedoch meine Hand, als wollte sie sie küssen, und hielt mich zurück; sie sah mich von unten an mit diesem flehenden, eindringlichen Blick, mit dem sie für gewöhnlich die Ikone anblickte, und flüsterte: «Wadja, kränke die gnädige Frau nicht. Wadja, du gibst ihr noch den Rest, sie sitzt sowieso schon da wie halbtot. Heute ist der Todestag deines Vaters .» Jetzt sah sie mir nicht mehr in die Augen, sondern aufs Kinn, wischte sich mit der Hand die kleine Knopfnase ab und fügte in der Art alter Menschen konfus hinzu: «Und das Geld, so viel du brauchst, nimmst du vielleicht von mir. Ja? Nimm es, sei so lieb. Nimm es, in Christi Namen. Du nimmst es doch? Nimm’s, sei nicht so .» Sie schlurfte schnell in die Küche und brachte mir einen Augenblick später einen Packen Zehnrubelscheine. Ich wusste, dass dies die Ersparnisse vieler Arbeitsjahre waren, dass sie das Geld beiseitegelegt hatte, um es beim Altenstift einzuzahlen, damit sie im Alter, wenn sie nicht mehr

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