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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
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zeigten goldene Zeiger auf nüchternem schwarzem Zifferblatt vierzehn Minuten nach fünf. Als ich den Platz überquert hatte und in den feuchten Schatten des Boulevards getreten war, zeigten auf der anderen Seite des Turms die gleichen goldenen Zeiger auf ebenso schwarzem Zifferblatt exakt Viertel nach fünf. Schon ertönten einige dünne Glockenschläge, so versprengt, als spazierte ein Huhn auf einer Harfe herum.
    In sieben Stunden würde ich mich bereits wieder mit Sonja treffen, und plötzlich empfand ich die ungeduldige Vorfreude auf das Wiedersehen mit solch frischer, ausgeruhter Kraft, dass an Schlafen nicht mehr zu denken war. «Ich habe sie betrogen » , sagte ich mir in Erinnerung an die zurückliegende Nacht, aber wie aufrichtig und hartnäckig ich auch versuchte, dieses teuflische Wort irgendeinem der Gefühle, die ich empfand, anzuhängen, es mir selbst aufzudrängen – es blieb entschieden nicht haften, löste sich immer wieder, entglitt mir und fiel ab. Aber wenn ich sie nicht betrogen hatte, was dann? Wenn das, was ich getan hatte, kein Betrügen war, dann hieß es, dass mein geistiges Ich für mein sinnliches nicht verantwortlich war, dass meine Sinnlichkeit, so schmutzig sie auch war, meine Geistigkeit nicht beflecken konnte, dass meine Sinnlichkeit für alle Frauen offen war, meine Geistigkeit aber allein für Sonja, und dass das Sinnliche in mir auf irgendeine Weise vom Geistigen abgekoppelt war. Ich fühlte mehr, als dass ich wusste, dass an alledem etwas Wahres war, doch in mir war etwas angestoßen worden, und ich konnte mich von der in meinem Inneren auftauchenden Vorstellung nicht lösen, dass Sonja, wäre sie an meiner Stelle, etwas Ähnliches tun könnte, dass ihr das Gleiche passieren könnte, was mir letzte Nacht passiert war. Natürlich spürte und wusste ich, dass das vollkommen ausgeschlossen war, dass Sonja so etwas nicht passieren könnte und nie passieren würde, aber ebendieses Bewusstsein der Unmöglichkeit eines ähnlichen Vorfalls bei Sonja sprach mit eindringlicher Klarheit dafür, dass bei ihr, bei einer Frau, die Sinnlichkeit das Geistige beflecken konnte und sogar musste , und dass ihre weibliche Geistigkeit in vollem Umfang für einen Verstoß ihrer Sinnlichkeit verantwortlich war. Was hieße, dass in ihr, in Sonja, der Frau, Geistiges und Sinnliches in eins zusammenflossen , und wenn man versuchen wollte, sie getrennt voneinander zu sehen, zweigeteilt, füreinander nicht verantwortlich, gespalten, wie es bei mir war, so müsste man das Leben selbst in zwei Teile spalten.
    Und ich stellte mir eine Frau vor, natürlich nicht Sonja, sondern eine andere Frau oder ein Mädchen aus einer Familie etwa wie der meinen, die, ähnlich wie ich, mit ausnehmender, außerordentlicher Hitzigkeit in jemanden verliebt war. Nun geht diese Frau allein nach Hause, und da holt sie in der Dunkelheit des Boulevards irgendein Schnösel ein, sie kennt ihn nicht, sie kann nicht einmal genau erkennen, wie er aussieht, ob er jung ist oder hässlich oder alt, da packt er sie schon, beginnt sie abscheulich zu begrapschen und widerlich zu küssen – aber sie ist schon bereit, zu allem bereit, sie fährt mit zu ihm, und die Hauptsache: Als sie gegen Morgen sein Haus verlässt, sogar ohne noch einmal einen Blick auf denjenigen zu werfen, mit dem sie diese Nacht verbracht hat, macht sie sich auf den Weg nach Hause, und sie fühlt sich nicht nur nicht beschmutzt, sondern freut sich ganz aufrichtig auf das Wiedersehen mit dem Mann, in den sie verliebt ist. An so eine Frau schleicht sich fast wie von selbst das schreckliche Wort an: Hure. Daraus ergab sich eine merkwürdige Schlussfolgerung: Wenn ein Mann das tat, was er tat, war er ein Mann. Wenn aber eine Frau das tat, was ein Mann tat, war sie eine Hure. Daraus ergab sich weiterhin, dass die Spaltung von Sinnlichkeit und Geistigkeit beim Mann Zeichen seiner Männlichkeit war, bei der Frau dagegen Zeichen ihrer Hurenhaftigkeit.
    Ich begann diese für mich unerwartete Schlussfolgerung zu verifizieren. Da war also ich, Wadim Maslennikow, angehender Jurist, und schon bald – wie mir meine Umgebung suggerierte – angesehenes und nützliches Mitglied der Gesellschaft. Zugleich aber genügte mir, wo auch immer ich gerade war – sei es in der Straßenbahn, im Café, im Theater, im Restaurant, auf der Straße, kurzum einfach überall – , mir genügte der Anblick einer weiblichen Figur, mir genügten die verführerischen Reize ihrer üppigen oder schmächtigen

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