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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
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Zeit hagere, schreckliche, geschlechtslose Märtyrer die Ikonen berührt. «Mein Süßer » , sagte Sonja schwermütig, wobei sie mir ihre Lippen entzog und dann wieder entgegenstreckte, «Kindchen, Liebling, du liebst mich, ja? – Sag es mir .» Ich suchte angestrengt in mir nach den Worten, die ich brauchte, nach diesen wunderbaren, diesen magischen Worten der Liebe – Worte, die ich sagen würde, die ich jetzt sofort sagen musste. Aber diese Worte gab es in mir nicht. Es war, als hätte mich meine Erfahrung in Liebesdingen gelehrt, dass nur derjenige mit schönen Worten von der Liebe sprechen kann, bei dem diese Liebe bereits zur Erinnerung geworden ist; dass nur derjenige überzeugend von der Liebe sprechen kann, bei dem sie die Sinnlichkeit in Wallung gebracht hat; und dass nur derjenige gänzlich von der Liebe schweigen soll, bei dem sie ins Herz getroffen hat.

5
    Zwei Wochen vergingen; in ihrem Verlauf wurde mein Glücksgefühl mit jedem Tag unruhiger und fieberhafter, und es mischte sich etwas von jener überspannten Bangigkeit darunter, die vermutlich jedem Glück eigen ist, das mit zu großer Gewalt innerhalb von wenigen Tagen übers Ufer tritt, anstatt sich still und zart über mehrere Jahre hinweg zu ergießen. Alles in mir war gespalten.
    Gespalten war das Zeitgefühl. Erst kam der Morgen, dann das Treffen mit Sonja, ein Mittagessen irgendwo außer Haus, eine Fahrt aufs Land, und dann war es schon Nacht, und der Tag war wie ein herabgefallener Stein. Aber ich brauchte die Augen der Erinnerung nur ein wenig zu öffnen, und sogleich nahmen diese wenigen Tage, so schwer mit Eindrücken beladen, die Länge von Monaten an.
    Gespalten war meine Leidenschaft für Sonja. Da ich in Sonjas Gegenwart beherrscht war von dem unablässigen, angestrengten Bestreben, ihr zu gefallen, sowie von der ständigen grässlichen Angst, es könne ihr mit mir langweilig sein, war ich zum Abend hin immer so gemartert, dass ich erleichtert aufatmete, wenn Sonja endlich in der Einfahrt ihres Hauses verschwand und ich alleine war. Ich hatte allerdings nicht einmal mein Haus erreicht, als in mir bereits aufs Neue die Sehnsucht nach Sonja zu sirren begann; ich aß und schlief nicht, verfiel in einen immer fieberhafteren Zustand, je näher der Moment unserer erneuten Begegnung rückte, um dann schon nach einer halben mit Sonja verbrachten Stunde aufs Neue zermürbt zu sein von der Kraftanstrengung, unterhaltsam sein zu müssen, und Erleichterung zu verspüren, wenn ich wieder alleine war.
    Gespalten war das Gefühl von der Einheit meiner Innenwelt. Mein intimes Verhältnis zu Sonja war auf Küsse beschränkt, aber diese Küsse riefen in mir nur eine schluchzende Zärtlichkeit hervor, wie sie beim Abschied auf dem Bahnhof vorkommt, wenn man sich für eine lange Zeit, vielleicht für immer, voneinander verabschiedet. Solche Küsse greifen einem zu sehr ans Herz, als dass sie den Körper ergreifen könnten. Diese Küsse, die gleichsam der Stamm waren, an dem sich meine Beziehung zu Sonja emporrankte, waren der Grund, warum ich mich in einen träumerischen, sogar naiven Jungen verwandeln musste. Es war, als vermochte Sonja diejenigen meiner Gefühle zum Leben zu erwecken, die vor langem in mir zu atmen aufgehört hatten, die deshalb jünger waren als ich und in ihrer Jugend, Reinheit und Naivität nicht im Mindesten zu meiner schmutzigen Erfahrung passen wollten. So war ich, wenn ich mit Sonja zusammen war; und schon nach wenigen Tagen glaubte ich fest daran, dass dies tatsächlich meinem Wesen entsprach, dass ich nur so und nicht anders sein konnte. Als ich jedoch nach zwei, drei Tagen auf der Straße Takadschijew traf (dem ich schon im Gymnasium zu seinem äußersten Vergnügen meine «besondere » Sicht auf die Frauen gepredigt hatte, was bei ihm durchaus auf Zustimmung gestoßen war), der mich in den Tagen zuvor bereits mehrere Male in Begleitung von Sonja gesehen hatte, da empfand ich Takadschijew gegenüber, kaum dass ich ihn in der Ferne erblickt hatte, plötzlich eine merkwürdige Scham und das unbedingte Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Ebensolche Schamgefühle empfindet vermutlich ein Dieb, der sich unter dem Einfluss der erwerbstätigen Familie, bei der er ansässig geworden ist, von seinem Handwerk verabschiedet hat, und der sich, als er dann einem früheren Komplizen begegnet, vor diesem schämt, weil er bis dato seine Wohltäter noch nicht bestohlen hat. Nach einigen Flüchen zur Begrüßung berichtete ich ihm

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