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Roman mit Kokain (German Edition)

Roman mit Kokain (German Edition)

Titel: Roman mit Kokain (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Agejew
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größer war, und obwohl ich mir schließlich das stundenlange Nachlaufen und Suchen sowie die kränkenden Abweisungen hätte ersparen können – obwohl also alles dafür sprach, eine Dirne aufzusuchen, so tat ich es doch nie.
    Ich tat es nie, weil es mich nicht nach einer durch mündliche Abmachung legalisierten Unzucht verlangte, sondern nach einem heimlichen und lasterhaften Werben, mit all seinen Eroberungen, mit seinem Triumph, bei dem, wie mir schien, mein Ich , mein Körper, die Augen, die meine waren und die nur ich allein haben konnte, den Sieg davontrugen, und eben nicht die paar Rubel, die ein jeder haben konnte. Ich nahm mir auch deshalb nie eine Dirne, weil sie, wenn sie das Geld im Voraus genommen hatte, gleichsam einer Verpflichtung nachkam, während sie sich mir hingab, ja sie tat es gezwungenermaßen; vielleicht (so stellte ich mir vor) würde sie dabei sogar vor Ungeduld die Zähne zusammenpressen und sich nur eines wünschen, nämlich dass ich so schnell wie möglich das Meine erledigen und gehen sollte, und ob dieser feindseligen Ungeduld läge mit mir im Bett keine erhitzte Komplizin, sondern eine gelangweilte Zuschauerin. Meine Sinnlichkeit wäre gleichsam die Spiegelung der Gefühle, die die Frau mir gegenüber empfand.
    Ich hatte den kurzen Boulevard nicht einmal zur Hälfte hinter mich gebracht, als ich hörte, wie sich mir jemand mit kleinen hastigen Schritten und schwer atmend von hinten näherte. «Uff, da hab ich Sie endlich !» , sagte eine Stimme mit ekelhaft professioneller Koketterie. Ich blickte mich um, sah ein gelbes Licht und darin eine schnellen Schrittes auf mich zueilende Frau. Ich tat einen Schritt zur Seite, aber sie machte eine scharfe Wendung zu mir hin, stieß mit mir zusammen und schlang ihre Arme um mich. Schon spürte ich an meinem Unterleib den Druck ihres sich eng anschmiegenden und elend wärmenden Körpers; ihre Lippen kamen näher, schoben sich auf meine, öffneten sich und entließen eine nasse, kalte und zuckende Zunge in meinen Mund. Mir schien, wie es wohl auch zu diesem Moment passte, dass die Erde um mich herum wegsackte und nur das kleine Stück übrig blieb, auf dem ich stand – und, wohl um nicht abzustürzen, um mich festzuhalten, erwiderte ich ihre Umarmung. Danach war alles schrecklich einfach.
    Zuerst die Droschke, die hin und her schaukelte und sich nicht vom Fleck zu bewegen schien, denn zufällig sah ich einen Fetzen des Sternenhimmels, während ich mit wonniger Brutalität an ihren Lippen riss. Dann das Tor, daneben, auf der Spitze eines Eisenhakens, ein goldener Stiefel – das Tor selbst war aus Holz, massiv, mit einer kleinen Tür darin, die sich öffnete wie bei einer Kuckucksuhr. Dann der Flur, von dessen Wänden der Putz herabbröckelte und die hölzernen Verstrebungen freilegte, die mit Wachstuch bespannte Tür, Staubränder in den Vertiefungen um die fest ins Wachstuch eingeschlagenen Nägel. Dann die Kammer, verbrauchte, stickige Luft, eine Petroleumlampe, darüber, an der schwarzen Decke, ein kleiner heller Lichtfleck, wie ein Sonnenstrahl unter einem Vergrößerungsglas. Weiter die Bettdecke aus bunten Flicken, feucht und schwer, als wäre sie mit Sand gefüllt; der schlaff zur Seite hängende Busen mit einer konturlosen, dunkelbraunen, von weißen Sprenkeln umgebenen Brustwarze. Schließlich das Ende und der Schlussstrich unter allem, und die Gewissheit (so oft schon empfunden und doch immer wieder neu), dass die unsere Sinnlichkeit entfachenden weiblichen Reize nicht mehr als Küchengerüche sind – erregend, wenn man Hunger hat, abstoßend, wenn man gesättigt ist.
    Als ich das Haus verließ, war es schon Morgen. Aus dem Kamin am Nachbarhaus stieg eine durchsichtige Wärme auf, in der ein Stück Himmel flimmerte. Die Straßen waren leer, hell, ohne Sonne. Keine Straßenbahnen zu hören. Nur ein Straßenaufseher, der trotz seines grauen Barts einen Gymnasiastengürtel und eine Schirmmütze mit grünem Band trug, 28 fegte den Boulevard. Eine schwere und sich sogleich wieder legende Staubwolke aufwirbelnd, bewegte er sich langsam auf mich zu; er erinnerte an einen Zirkel, bei dem er selbst der fixierte Schenkel war, während der Besen als zweiter Schenkel an seinem langen Stiel Halbkreise zwischen den Rasenflächen zog. Eine unendliche Reihe Kratzspuren blieb von den harten Borsten seines Besens im Sand zurück.
    Ich ging dahin und fühlte mich so wunderbar gut, so sauber, als hätte man mich ausgewaschen. Am rosafarbenen Klosterturm

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