Roman mit Kokain (German Edition)
meiner Macht.
Da betritt Mik das Zimmer. In den Händen hat er neue Pulverbriefchen mit Kokain, er schließt die Tür mit einer eigenartigen Bewegung, als könne sie auf ihn fallen. Die obere Lampe ist gelöscht. Im Zimmer ist es fast finster. Im herbstlich flackernden Kerzenlicht drängen sich Nelli und Sander zwischen Vorhang und Schrank. Aufmerksam recken sie die Hälse. Nelli hat einen schiefen Hals, ihr Kopf ist zur Seite gereckt, und es scheint, als kämen genau von dieser Seite drohende Geräusche aus der nächtlichen Wohnung auf uns zu. Die Augen starren wie wahnsinnig. Im Zimmer rührt sich nichts mehr, nur die Lippen bewegen sich bei allen. «Schschsch » , flüstert Nelli in einem schnellen, lang gezogenen Pfeifton. «Es kommt jemand » , flüstert Sander, «es kommt jemand her » , ruft er flüsternd, sein Kopf wackelt unaufhörlich. Ich bin schon angesteckt. Habe auch schon Angst. Kann mir auch schon nichts Schlimmeres vorstellen, als dass hierhin, in dieses stille, dunkle Zimmer, ein lauter, munterer Tagesmensch kommt und unsere Augen sieht und uns alle in diesem Zustand. Ich fühle: Es müsste nur einer von uns schießen, durchdringend schreien oder in wildes Gebell ausbrechen, und der zarte Faden, an dem mein leise tosendes Gehirn hängt, würde reißen. Jetzt, in dieser nächtlichen Stille, habe ich besonders Angst um diesen Faden.
Ich sitze im Sessel. Mein Kopf ist so angespannt, dass er mir zu schaukeln scheint. Mein Körper ist abgekühlt, steif, wie vom Kopf abgefallen: Um Beine oder Hände zu spüren, muss ich sie bewegen.
Um mich herum Menschen, viele, sehr viele Menschen. Aber es ist keine Halluzination: Ich sehe diese Menschen nicht außerhalb von mir, sondern in mir. Da sind Studenten, Hörerinnen und andere, aber alle irgendwie seltsam: krumm, schielend, ohne Nase, haarig, bärtig. «Ach, Professor » , ruft eine Studentin begeistert (der Professor bin ich), «ach, Professor, bitte, heute über Sport .» Sie hat nur ein Auge und streckt mir von ferne die Hände entgegen. Die Krummen, Schielenden, Bärtigen, Haarigen, all jene, die sich nicht ausziehen sollten und die sich davor fürchten, jammern: «Ja, Herr Professor, ja, über Sport, geben Sie uns eine Definition von Sport .» Ich lächle flüchtig, und die Krummen, Schielenden, Bärtigen, Haarigen verstummen plötzlich. «Sport, meine Herrschaften, ist die Aufwendung physikalischer Energie unter der unverzichtbaren Bedingung gegenseitiger Herausforderung und völliger Unproduktivität .» Die Armlosen, Krummen, Schielenden schreien wild «Weiter !» , «Mehr, mehr !» , «Weiter !». Die einäugige Gelehrte schlägt den anderen mit dem Ellenbogen in die Fratzen: «Verzeihen Sie, Kollege » , und boxt sich zu meinem Pult durch. Ich hebe die Hand. Stille. «Uns, meine Herren » , flüstere ich, «geht es nicht um den Sport, nicht um sein Wesen, sondern um den Grad seiner Wirkung, seines Einflusses auf die Gesellschaft, und sogar, wenn es recht ist, auf den Staat. Darum erlauben Sie mir, dem Thema zu Ehren einige Worte zu sagen, nicht zum Sport selbst, sondern zu den Sportlern. Glauben Sie nicht, dass ich damit ausschließlich die Berufssportler meine, die für ihre Auftritte Geld nehmen und davon leben. Nein. Denn wichtig ist doch nicht nur, wovon , sondern auch, wofür der Mensch lebt. Darum verstehe ich unter den Sportlern, von denen ich rede, schlechterdings alle uns bekannten – unabhängig davon, ob der Sport für sie Beruf oder Berufung ist, Mittel zum Lebensunterhalt oder Lebensziel. Es genügt, die Aufmerksamkeit auf die stetig wachsende Popularität dieser Sportler zu lenken, um zu erkennen, dass schon nicht mehr nur der Erfolg, sondern die wahrhaftige Vergötterung dieser Leute immer größere Kreise der Gesellschaft ergreift. Man schreibt über diese Leute in Zeitungen, macht Fotos ihrer Gesichter (was hat ihr Gesicht damit zu tun), druckt sie in Zeitschriften – es scheint nicht viel zu fehlen und sie werden der Stolz unserer Nation. Man kann noch verstehen, dass eine Nation stolz ist auf ihre Beethovens, Voltaires, Tolstois (obwohl, was hat das mit Nation zu tun), aber dass eine Nation stolz darauf ist, dass Ivan Zybulkin kräftigere Oberschenkel hat als Hans Müller – meine Herrschaften, scheint Ihnen nicht, dass derartiger Stolz weniger über die Kraft und Gesundheit eines Zybulkin aussagt als über die Schwäche und Krankheit einer Nation? Denn wenn Ivan Zybulkin erfolgreich ist, dann ist klar, dass jeder, der diesem
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