Roman mit Kokain (German Edition)
zog mich ins Haus und brummte im Vorbeigehen dem Zimmermädchen zu, das gerade einen großen Koffer hinaustrug, dass ich die ganzen drei Monate, die er in Kasan sei, in seinem Zimmer wohnen würde; im selben Tempo zog er mich die Treppe hoch und durch den Saal zu seiner Tür, steckte den Schlüssel hinein, drückte mir mit einem verärgerten Gesichtsausdruck ein Päckchen Geld in die Hand, wiederholte dabei: «Nein, nein, nein !» , umarmte mich noch einmal schnell und, sich mit den Worten entschuldigend, dass er befürchte, seinen Zug zu verpassen, winkte mir und eilte davon.
Ich blieb alleine zurück und öffnete die Tür, betrat meine neue Unterkunft mit einem merkwürdigen Gefühl. Alles war viel zu schnell gegangen, und mir war von der schlaflosen Nacht abscheulich übel. Im Zimmer herschten Unordnung, ein Gefühl von Verlassenheit und trauriger Abreise. Auf dem Tisch standen schmutzige Teller, lagen Reste von einem Abendessen und Brot. Ich brach mir etwas ab, aber kaum fühlte ich es im Mund, schluckte ich, ohne zu kauen, denn ich fühlte eine nie da gewesene Leere und ziehende Leichtigkeit in den Wangen. Zum ersten Mal erfuhr ich, was es heißt, nach dem Kokain Hunger zu verspüren, ich aß gierig, riss das fette Fleisch mit den Händen ab, zitterte besinnungslos mit Hand und Hals, stopfte mir den Mund voll, schluckte wieder alles, stopfte mir noch mehr hinein, wobei mich das Verlangen zu brüllen überkam, während ich gleichzeitig ein nervöses Lachen über dieses Verlangen wahrnahm. Nachdem ich alles gegessen hatte, wurde ich schläfrig und meine Glieder wurden schwer, obwohl ich noch viel hätte essen können; ich schleppte mich mit Mühe zum Sofa und legte mich hin – da begann es in meinen ausgestreckten Beinen auch schon zu zucken, sanft und regungslos. Ich träumte, dass meine arme alte Mutter in ihrem schäbigen Pelz durch die Stadt läuft und mit trüben, schrecklichen Augen nach mir sucht.
1
Ich schlief aus und fuhr bereits am nächsten Morgen wieder zu Hirge, erwarb bei ihm anderthalb Gramm Kokain, und so ging es weiter – Tag um Tag. Aber kaum schreibe ich all dies nieder, erscheint unwillkürlich und unsäglich deutlich vor meinem inneren Auge das geringschätzige Lächeln auf dem Gesicht dessen, der meine traurigen Aufzeichnungen einmal in die Hände bekommen wird. Und wirklich, ich merke, dass diese Worte, oder besser: meine Taten, die doch die Macht des Kokains veranschaulichen sollen, für jeden normalen Menschen sehr viel eher meine eigene Schwäche veranschaulichen und deshalb bei ihm unweigerlich Befremden hervorrufen werden; ein schnödes, verächtliches Befremden, wie es selbst den feinfühligsten Zuhörer ergreift, sobald er sich bewusst wird, dass die Verkettung von Umständen, die das Leben des Erzählers zugrunde gerichtet hat, sein eigenes Leben (sollte ihm, dem Zuhörer, etwas Ähnliches zustoßen) in keiner Weise verändern oder gar zerstören könnte.
Ich sage dies alles, weil mir bewusst ist, dass ich selbst ein ebensolches verächtliches Befremden verspüren würde, hätte es nicht diese meine erste Kokainnacht gegeben; und erst jetzt, da ich den Weg ins Verderben eingeschlagen habe, weiß ich, dass der Grund für so eine Verachtung weniger Selbstüberschätzung wäre als vielmehr die Unterschätzung der Macht, die das Kokain hat. Die Macht des Kokains also. Wie aber nun äußert sich diese Macht?
2
In den langen Tagen und Nächten des Kokainrauschs in Jags Zimmer kam mir der Gedanke, dass für den Menschen nicht die Ereignisse wichtig sind, die um ihn herum geschehen, sondern nur das Abbild dieser Ereignisse in seinem Bewusstsein . Die Ereignisse können sich ändern, aber wenn diese Veränderung nicht im Bewusstsein abgebildet wird, bedeutet sie rein gar nichts , ist null und nichtig . Jemand, der in sich ein Abbild der Ereignisse trägt, die ihn reich gemacht haben, fühlt sich beispielsweise weiterhin reich, wenn er noch nicht weiß, dass die Bank, bei der sein Kapital liegt, pleite ist. Und jemand, der in sich das Leben seines Kindes abbildet, bleibt so lange Vater, wie ihn die Nachricht, dass sein Kind verunglückt und tot ist, nicht erreicht hat. Der Mensch lebt also nicht von den Ereignissen der Außenwelt, sondern allein vom Abbild dieser Ereignisse in seinem Bewusstsein.
Der Mensch bietet sein ganzes Leben dafür auf, verwendet seine Arbeit, sein Handeln, seinen Willen, seine physischen und geistigen Kräfte ausschließlich darauf, in der Außenwelt ein
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