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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Tag ihrer Eltern, der Tag der anderen Kinder, die nichts vom grünen Sofa, fast nichts vom weißen Block und nur das Allernötigste vom Bärenkeller wissen. Die Tür ist, wie die Hausordnung es vorschreibt, abgesperrt. Der Wolfskopf dreht sich um und reißt dem Zwilling, der sich den malträtierten Arm reibt, den einzigen Schlüssel, den sie besitzen, aus der Hand. Und wirklich,was alle hoffen, wird tatsächlich wahr: Der Schlüssel taugt ein drittes Mal dazu, ein Schloss zu öffnen – nicht anders als sein perlenverzierter Vorgänger, der Schlüssel des Piraten, der Schlüssel von Kapitän Silber am Anfang dieses Monats.
    Jetzt ist er doch krepiert! Als sie ihn unter das Küchensofa schob, krachte es kurz und trocken in seinem Körper. Im selben Augenblick riss die Musik ab. Der Kurzschluss im Staubsaugermotor hatte die Sicherung durchbrennen lassen. Natürlich reut es die Mutter nun, dass sie die verquälten Geräusche des Geräts nicht ernst genug genommen hat. Vielleicht ist wegen ihrer achtlosen Sturheit etwas in seinem Inneren gründlich kaputtgegangen, was ansonsten in der Werkstatt von Elektro-Lutscher noch ohne großen Aufwand zu reparieren gewesen wäre. Sie zieht die Tischschublade auf, aber die Schachtel mit den Sicherungen ist leer, und sie beschließt, bei den Böhms zu klingeln.
    Kaum liegt ihr Zeigefinger auf dem Knopf, kaum hat die Glocke angeschlagen, da schnappt auch schon die Tür auf. Wie prompt es ging, merkt die Mutter allein schon daran, dass sie die Hand noch immer auf der Klingel hat, als ihr Sybilles kleine Schwester bereits ins Gesicht guckt. Verspätet fällt ihr ein, sie hat Annabett Böhm alleine weggehen sehen. Ihrer Nachbarin hing die schicke rote Handtasche am Arm, bestimmt war sie auf dem Weg zur Bushaltestelle, um ihren Gatten im Josephinium zu besuchen. «Wir haben auch keine Sicherung mehr!», hört sie es quäken, bevor sie selber ein Wort herausgebracht hat. Und dazu grinst das Gör, als machte es ihm ein besonderes Vergnügen, sie mit dieser Antwort auf die noch gar nicht ausgesprochene Frage zu düpieren. Plötzlich spürt unsere Mutter unabweisbar deutlich, dass sie Sybilles kleine Schwester nicht ausstehen kann, sie schon alsBaby nicht hat ausstehen können und dass sie ihren Söhnen, wenn diese über die Unerträglichkeit des Mädchens klagten, immer gegen besseres Wissen, also heuchlerisch widersprochen hat. Die Kleine ist ein Miststück und wird ein Miststück bleiben. Sie wird nach ihrer Schwester und nach ihren Spielgefährten irgendwelche Männer quälen und schließlich einem eigenen armen Kind zum zähnefletschenden Mutteralbtraum werden. Wenn es nur anders käme! Wenn es nur anders kommen könnte. Am besten wäre doch – die Mutter hört diesen Gedanken in einzelnen, in schlimm säuberlich separierten Wörtern in ihrem Kopf erklingen   –, am besten wäre es, dieses missratene Geschöpf, das ihr nun ohne Abschiedswort die Tür vor der Nase zuschwenkt, diese kleine Geschlechtsgenossin, die eben noch barfuß, mit hässlich gespreizten Zehen vor ihr stand, wäre, lieber heute als morgen, wäre, wenn irgend möglich, in Bälde, nein, jetzt schon tot.
    Ein Zwilling schluchzt. Der Ältere Bruder sieht, wie ihm die Tränen helle Bahnen auf die staubgepuderten Wangen malen. Jetzt fährt er mit dem Handrücken darüber, und jeder, der hinschaut, kann erkennen, dass es nicht der ist, dem sie vorhin in ihrer Ausbruchsgier fast den Arm gebrochen haben. Der ungebissene Zwilling weint. Er weint nun für sie alle. Eigentlich hätte jeder Grund zu heulen. Doch den anderen ist der Schreck zu groß. Der Wolfskopf löst die Hand von der Klinke. Gerade hat er die Tür noch aufgerissen, als wäre er auf dem Sprung, als würde er keine Sekunde länger im Kellergang verharren. Und unser Ami-Michi war schon mit dem Zurückschnappen des Riegels so ungestüm herangedrängelt, dass er die nach innen schwingende Türkante gegen die Stirn bekam. Jetzt könnte er sich, wenn es ihn weiterhin blindlings nach vorne zöge, erst recht den Kopf anschlagen. Der braveSchniefer aber klappt das Messer auf und beginnt an dem zu kratzen, was ihnen grau und massiv den Weg in die Helle des Treppenhauses, ins unvergleichlich süße Tageslicht versperrt. Der Mörtel zwischen den großporigen Flüstersteinen scheint noch ein wenig feucht, vielleicht ist er nicht völlig ausgehärtet. Die Messerspitze rutscht in eine tiefe Rille. Der Schniefer stemmt sich auf den Griff. Da bricht die Klinge ab; fast wäre

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