Roman unserer Kindheit
in beiden Knöcheln, im linken Knie und immer schlimmer auch in der linken Hüfte weh. Den Arm über den Schultern des treuen Achim, muss er sich fast schleppen lassen, um mit den Invaliden mithalten zu können.
Dem jungen Huhlenhäusler ist auch zu verdanken, dass die Männer wissen, wo sie weiter nach dem Ort des drohenden Geschehens suchen müssen. Als der Mann ohne Gesicht erzählte, wie er kopfüber in den weißen Block gestürzt war, gerade als er sich mühte, anschaulich zu machen, auf welche Weise er dem Vogelgrab entkommen war, ohne dabei seine beiden Nothelfer zu verraten, ist ihm der Weißling ins Wort gefallen. Achim konnte nicht anders. Achim war heilfroh, endlich stotternd loszuwerden, was er dem Kikki-Mann schon die ganze Zeit hatte beichten wollen, nämlich dass der Schwarm der Rachevögel, die Geistergemeinschaft aller Gefiederten, deren Eier sie auf dem Gewissen hatten, aus dem Gebüsch des Spielplatzes aufgestiegen sei, um als eine dunkle Wolke zur alten Bärenkeller-Wirtschaft hinzufliegen.
Das war der Wink. Dem Mann ohne Gesicht stand, kaum war das Bärenwort gefallen, sogleich die rohe Fichtenholzplatte seines Tischs vor Augen. Dort, wo sein Messer den letzten Spielplatzweg ein wenig über die Mündung des Elsternhorstsverlängert hatte, war ihm die Klingenspitze an einem ungewöhnlich harten und halbkugelhoch emporgewölbten Astloch hängen geblieben. Er hatte noch erwogen, mit dem Hobel drüberzugehen, weil die kleine Unebenheit die Zweidimensionalität und damit den Übersichtszauber seiner Skizze störte. Stattdessen hätte er die eingewachsene Kugel, ihre stupende Prallheit, sofort zu einer Planerweiterung nutzen müssen. Wie ignorant, wie hoffnungslos borniert er doch in diesem Kontrollmoment gewesen war. Im Wald wäre das nicht passiert. Dort hätten ihn die Mäuse schon auf die Spur gesetzt.
Alle, die unten vorwärtskommen müssen, sind froh darüber, wie unermüdlich der Wolfskopf für sie tutet. Nun, da es zurück in den Bärenkeller geht, stört unsere Schicke Sybille nicht einmal, dass ihm dabei die Spucke aus den Mundwinkeln aufs Kinn läuft. Das wundert sie, weil sie sonst jeden Speichel, die wässrige Spucke ihrer kleinen Schwester, die bläschenreiche der Buben, noch mehr die trübe Spucke der Erwachsenen, ja selbst den Speichel ihrer schönen Mutter eklig findet. Der Ältere Bruder weiß zu schätzen, wie einfach, wie herrlich wortlos ihm das Wolfskopf-Getröte die Freunde nun für ein Weilchen, solang die Puste des Bläsers eben reichen mag, zusammenschließt. Das verschafft ihm selbst ein bisschen Luft, bevor das Amt des Anführers wieder wie ein zu enges Hemd über seiner Brust zu spannen beginnt. Er weiß genau um seine Pflicht. Sie wurde ihm in Sätzen vorgesprochen. Der Mann ohne Gesicht hat unserem großen Bruder aufgetragen, dass er – Fuß hin, Fuß her! – den Freunden, wenn es ernst werde, vorangehen und sie im Kampf zusammenhalten müsse.
Der Ältere Bruder wachte im Finsteren auf. Am Tag zuvorwar der Ami-Michi als Spion im rosa Block gewesen und hatte so gut wie nichts herausbekommen. Jetzt wurde der Ball zurückgekickt. Zuerst dachte er bloß, sein weher Fuß habe ihn aufgeweckt, doch mit dem ersten Hinfühlen war klar, dass Ferse, Spann und Knöchel nur das machten, womit sie wohl die ganze Nacht zugange waren. Mit Kribbeln und Pulsieren, mit Jucken, mit Krampfen und Wieder-Auseinanderziehen war das Versehrte ohne Zutun seines Willens und ohne die Zeugenschaft eines inneren Augs unentwegt am Heilen. Da klopfte es erneut. Das gleiche Klopfen hatte ihn vorhin aus dem Schlaf geholt. Er drehte sich und beugte sich über das Bettende zum Fenster. Er war nicht überrascht, dass draußen der Mann ohne Gesicht die nackten, pergamentenen Wangen gegen die Gitterstäbe presste. Als unser großer Bruder mit dem Namen, den er dem verschollenen Bruder der Mutter zu verdanken hat, durch den Fensterspalt angesprochen wurde, war ihm klar, warum der nächtliche Besucher seinen Gesichtsschutz abgenommen hatte. Durch den Mull hätte sich niemals so verständlich flüstern lassen. Der Mann ohne Gesicht erzählte ihm von den Mäusen, von deren Zukunftsklugheit und davon, wie ihm in einem Panzer die Ohren für das Wispern solcher Gemeinschaften zurechtgeschmolzen worden waren. «Es ist einer von euch! Einer oder eine von euch soll wegen nichts – für nichts und wieder nichts! –, bloß weil der verfluchte Zeitlauf es so will, ins Gras dieses Sommers beißen. Es hat mit
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