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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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er die Tür aufzieht, sieht Felsenbrecher, dass der Frischoperierte Besuch von seiner Frau hat. Das Weib ist eine Schönheit, und auch die größere der beiden Töchter, mit der sie das letzte Mal ankam, könnte, wenn sich der Speck in die Länge wegstreckt, ein mehr als nur hübsches Mädchen werden. Heute ist die schwarzgelockte Mutter allein gekommen. Das trifft sich prächtig. Sie soll dem wackeren Stürmer die Rechte tätscheln, während ihm in zwei Schritten, zunächst in allegorischer Umschreibung, gekrönt von einer Super-Pointe, und dann platt orthopädisch, mitgeteilt wird, dass er die Fußballstiefel an den berühmten Nagel hängen muss.
    Und schon geschieht es. Der kleine Gas-Böhm lacht lauthals über den Kannibalenwitz. Annabett Böhm, die ahnt, dass das dicke Ende erst noch kommt, lässt es mit einem Lächeln bewenden. Professor Felsenbrecher holt Luft, um den beiden Laien, denen die fatale Parallelität zwischen Urwald- und Sportgeschehen offenbar nicht aufgegangen ist, nun knapp, aber verständlich zu erklären, wie ein von ausgelebter Fußballseligkeit völlig verschlissenes Knie inwendig aussieht und wo auf diesem Acker, wo zwischen Knochen, Bändern und Knorpel zurzeit die Grenzen ärztlicher Spielkunst verlaufen. Der Fortschritt hätte zwar von fern betrachtet fixe Beine, aber im konkreten Fall eines derart kaputtenKnies ginge es leider eher schlurfend oder sogar hinkend in die Zukunft weiter.
    Dies wiederum findet Sybilles kleine Schwester gar nicht nett. Auge um Auge! Zahn um Zahn! Sie hopst vom Fensterbrett. Barfüßig tritt sie zwischen ihren Papa und Professor Felsenbrecher. Der dicke, angeberische Onkel ist, so gescheit er tut, nicht einmal in der Lage, sie zu sehen und zu hören. Aber fühlen wird er sie können! Also bohrt sie ihren Kleinmädchenzeigefinger in seinen Wanst. Sie findet die Stelle. Sie findet sie mit ihrem Wünschelfinger. Sie sieht den Dicken mit den Backen zucken und, da er den Schmerz erkennt, sogleich erbleichen. Sybilles kleine Schwester, mein schlimmes Sommermädchen, weiß nicht, welch hübschen Namen diese Drüse in den Büchern des großen Doktors tragen darf. Sie weiß jedoch genau, wo dieses weiße Würstchen sitzt. Sie bohrt, so tief sie kann. Sie freut sich sehr, sie freut sich arg. Denn drückend und drehend spürt sie schon jetzt, wie schnell – von nun an noch ein bisschen schneller! – die garstigen, kleinen Knötlein in den Läppchen des Organs wachsen und wuchern werden.
    Sybilles Schienbein vergießt noch einmal einen dicken Tropfen Blut. Als Letzte ist sie über die Briketts gestolpert. Sie müssen denselben Weg zurück. Wie bitter der erzwungene Rückzug schmeckt! Der Ami-Michi, der vor ihr durch das Mauerloch in den Gang gestiegen ist, fürchtet sich schon vor dem Wasser des grünen Sees. Er hofft mit bangem Herzen, es möge geholfen haben, sämtliche Münzen des Toten in ihm zu versenken. Aber vielleicht hat der Teich gemerkt, dass es nicht alles war? Als er sich bückte, um den honigfarbenen Zahn aus dem Wasser zu fischen, spiegelte sich das Portemonnaie, und womöglich waren auf diesem Wasserbild dieOberkanten der zurückbehaltenen Scheine zu erkennen gewesen. Wenn er heil nach oben kommt, will er es seiner Mutter gleichtun. Schlau, wie sie ist, versteckt sie ihre Dollars im Schlafzimmer, zwischen der Bettwäsche, in einem Kuvert, so vielschichtig umhüllt von einem alten, geflickten, nicht mehr benutzten Laken, dass es die Spürnase eines geschwisterlos gebliebenen Sohnes brauchte, um den Schatz aufzuspüren.
    Den Schniefer ängstigt hingegen einzig die Nagelbuche, weil er ihre feinbepilzte Hohlheit von beiden Seiten kennt und als Einziger erlebt hat, was für ein hübsches weißes Mädchen darin erscheinen kann. Gewiss vermag sie nicht bloß Wellensittiche unter ihren Willen zu zwingen. Ach, armer Schniefer! Wer wird denn gleich das Schlimmste von mir denken? Ihm und dem Ami-Michi, diesem braven Knaben, machen wir beide, ich und mein Sommer, es nun ein bisschen leichter. Der Ältere Bruder bemerkt als Erster, dass der Gang nicht gleich geblieben ist. Die Stelle, wo man die Huhlenhäusler Suppe riechen konnte, die Stelle unter dem türkisen Block, müsste inzwischen längst erreicht sein. Der ärgste, der alle Nacken beugende Abschnitt will nicht mehr wirklich werden. Im Gegenteil, der Gang wird weit, und schließlich ist er so hoch und breit wie auf dem ersten Wegstück zwischen dem Tisch des Toten und der Nagelbuche. Doch noch will keiner

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