Roman unserer Kindheit
dämlich gewordener Achim, schlägt wie vorhergesehen. Der Vater blockt mit dem linken Unterarm. Ganz klappt es nicht, der abgeschwächte Schwinger erwischtihn noch an der grauhaarigen Schläfe, aber die rechte Gerade sticht lehrbuchmäßig Richtung Kopf. Allerdings trifft die Faust des Vaters, weil Achim unversehens nickt, nicht dessen Kinn, sondern die kleine, hübsche Huhlenhäusler-Nase. Das ist nicht klassisch, aber es reicht aus. Schon muss der Vater den Bewusstlosen aus blutdurchschliertem Wasser vor dem Ertrinken retten. So wird es sein. So wird es dereinst sein. Der letzte Ami-Laster, ein überschwerer Sattelschlepper, der einen putzig kleinen, rohrlosen Schützenpanzer huckepack aus dem Manöver nach Hause, in die Kaserne hinter dem Gaswerk, trägt, rüttelt und donnert durch die Unterführung, und unser Vater hat mit diesem Beben den See, das Blut, die Zukunft und seinen letzten, mit Tücke und Bravour bestandenen Kampf erneut vergessen.
Das Sofa ist trocken. Aber nicht mehr lang. Die Kameraden sind der Spur gefolgt, die der plumpe Körper des Möbels über den Rosenhang gezogen hat. Jetzt geht es wieder schräg hinauf. Während Achim und der Mann ohne Gesicht den Taubstummen unterhaken, damit er die Steigung schafft, und sich Sputnik hechelnd ins Geschirr stemmt, um den Fehlharmoniker Richtung Biergarten zu ziehen, tappt oben meine kleine fragwürdige Komplizin entlang der Mauer hin zur Couch. Ich habe ihr die Darbietung, die folgt, nicht angeschafft. Ich schwöre, so sehr ich alles Feuchte liebe, was Sybilles kleine Schwester nun gleich tun wird, ist mir ganz und gar nicht recht. Aber erneut reicht meine Macht nicht aus. Wieder geht mir das Luder aus dem Ruder. Alle schauen zu ihr hinauf. Sie grinst zu den vier Kerlen hinunter. Mit nackten Füßen steht sie auf dem grünen Cord. Sie hockt sich hin. Sie zieht sich den Schlüpfer über die weiß aufflammenden Backen. Dann presst sie die Augenlider aufeinanderund pisst und pisst und pisst – pisst einen heftig aufschäumenden, nur langsam einsickernden kleinen Teich auf das mehr als vier Wochen wundersam rein gebliebene Sofa unserer Kinder.
Sommernacht
Erst jetzt, nachdem er mit einem unmännlich hohen Schmerzensseufzer, fast einem Schmerzensjuchzer, auf das Sofa gesunken ist, findet der Kikki-Mann Gelegenheit und Muße, sich das verdiente Zigarettchen anzuzünden. Auch seinem treuen Achim hält er, was er noch nie zuvor getan hat, die Packung hin. Der Junge nimmt sich sogar eine und dreht sein bleiches Näschen über das Feuerzeug. Aber dann lässt er dem Glimmstängel, ohne ein weiteres Mal dran zu saugen, eine lang und schließlich krumm werdende Aschenase wachsen. Er hockt am Fußende der Freiluftcouch, guckt Löcher ins gelbe Gras und versucht erneut, dem taubstummen Nachbarn irgendetwas über einen See, über dessen kiesbedeckten Grund und über den Geschmack von blutigem Wasser zu erzählen, doch auch sein zweiter Anlauf bleibt in wirrem Gestammel stecken. Achim ist durch den Wind. Achim ist heilfroh, dass er jetzt einfach so auf diesem Möbel sitzen darf. Er merkt nicht einmal, dass seine linke Hand auf dem inzwischen nicht mehr pitschnassen, sondern bloß noch feuchten Fleck ruht. Mein Sommer ist heute, an seinem letzten Tag, so, wie es sich gehört, mit einem Wust aus Unverständlichem über Achims höckrige Stirn und seinen weißblonden Schopf hinweggestürmt.
Anders als Achim wäre der Kikki-Mann vorhin liebend gern mit den beiden prächtigen Invaliden über die Mauer in den alten Biergarten eingestiegen. Aber die Knochen tun ihminzwischen wirklich elend weh. Morgen, nach einer schlimmen, schlaflos zugebrachten Nacht, in der ihm jede Delle seiner alten Schlafcouch zur Marterkuhle werden muss, wird er den Weißling zur Telefonzelle an der Kirche schicken und sich einen Krankenwagen rufen lassen. Im Josephinium wird Professor Felsenbrecher, während sein Blick zwischen den frischen Röntgenbildern und den rotlila marmorierten Gelenken hin- und hergeht, unserem Kikki-Mann zur Elastizität seiner mageren Glieder gratulieren. Bis auf den Kapselriss im linken Knöchel sei nichts entzwei. Und weil er in allen Fällen an die heilende Kraft des Wortes glaubt, gibt unser wunderbarer Aufschneider und Zusammenstückler auch als Erzähler erneut sein Bestes. Kaum dass sich Schwester Innocentia ans Eincremen und ans Bandagieren gemacht hat, wird dem taubstummen Patienten ein vielleicht etwas antiquierter, aber durch die Verrücktheit seiner Wendungen
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