Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
Vom Netzwerk:
Älteren Bruder als Geburtstagsrunde wünschte, dass in ihrer Mutter nicht der Hauch eines Verdachts aufstieg.
    Von den eingeladenen vier Buben sind jedoch nur drei erschienen. Annabett Böhm verteilt noch einmal Kuchen und muss dabei erneut an den denken, dessen Platz leer geblieben ist. Vor einer guten Stunde hat dessen Mutter sie darum gebeten, das Telefon benutzen zu dürfen. Über den Apparat der Böhms wurde ein Taxi herbestellt. Außerplanmäßig, einen Tag vor dem Verbandswechsel, musste unser großer Bruder ins Josephinium. Frau Böhm hat beim Hinaustragen geholfen. Während sie den fiebrig rotwangigen Jungen, die Beinschiene voran, auf die Rückbank des Taxis hoben und die Mutter dann noch einmal in der Wohnung verschwand, um ihre Tasche und ein kleines Kissen für seinen schweißnassen Kopf herauszuholen, guckten die Böhm’schen Mädchen vom offenen Fenster aus zu. Natürlich sahen die Schwestern alles, was es zu sehen gab. Sybilles kleine Schwester erkannte sogar die Münze, die unsere Mutter der Nachbarin als Entgelt fürs erneute Telefonieren diskret in die linke Aufnähtasche ihrer neuen, knallorangen Kittelschürze gleiten ließ. Aber auch Annabett Böhm ist nicht von gestern. Obschon die kluge Sybille den bestmöglichen Moment abpasste, hat ihre Mutter, die Hände unter den Achseln des Nachbarsjungen, im Rückspiegel des Taxis gesehen, wie Sybille nicht nur kurz winkte,sondern auch, während die Kleine neben ihr garstig tief in der Nase bohrte, über den Fenstersims hinweg eine Kusshand in Richtung Auto warf.
    Annabett Böhm schenkt allen vom selbstgemachten Saft nach. Ihr Töchterchen, die ewig Zweitgeborene, die wohl bis an ihr Lebensende Eindruck schinden muss, hat sich erneut mit großem Gequengel die beliebte Ami-Limonade als Geburtstagstrunk gewünscht, aber diese braune Brühe, die den zarten Zahnschmelz der Kinder bekanntlich wie pure Schwefelsäure anfrisst, kommt ihr, solange sie in ihrer Küche das Sagen hat, nicht in den Kühlschrank. Es ist ihr erster Kühlschrank, dass es auch ihr einziger und letzter bleiben wird, kann sie nicht wissen. Annabett Böhm ahnt nichts, weil sie nichts spürt. Fast bis zuletzt, bis kurz vor das große finale Quälen, wird sie nichts spüren müssen. Auch jetzt, da ihr Unterleib gegen den Tisch drückt, während sie noch einmal Kuchen austeilt, bleibt das Gewächs mucksmäuschenstill. Erst wenn es in die allerletzte Runde geht, wird sich mit bösem Druckschmerz melden, was anderthalb Handbreit unterhalb ihres Nabels und eine gute Handbreit tief in ihrem dunklen, weichen Innern wuchert.
     
    Professor Felsenbrecher schlägt sich vor den Kopf. Bereits zum zweiten Mal klatscht ihm der Handteller seiner Rechten so spektakulär laut gegen die Stirn, dass sogar die kleine dicke Schwester, die Ausbrüche aller Art seit Jahr und Tag gewohnt ist, beunruhigt aufschaut. Dann brüllt er, er gedenke keine erhöhte Temperatur zu dulden, wo nach der Logik, die in allen Dingen, auch in den leiblichen Angelegenheiten walte, keine erhöhte Temperatur zu erwarten sei. Der Fuß habe das große Geschmore, das elektrische Gebrutzel vom letzten Maldoch erstklassig weggesteckt. Auf junges Fleisch könne man sich, zumindest als Arzt, verlassen. Ein Blinder mit Krückstock sehe, auf welch gutem Weg sich die Vernarbung nun befinde. Der Ältere Bruder möge ihm bitte schön verraten, woher sein Fieber rühre.
    Apropos Blinde: Gewiss kenne er den Witz noch nicht, in dem ein Blinder seinen Hausarzt frage, wie er trotz seiner Blindheit nachprüfen könne, ob ihn seine Frau mit anderen Männern, mit diesen verfluchten Sehenden natürlich, hintergehe. Jetzt, wo die Mutter auf dem Weg zur Toilette sei, lasse sich dies ganz schnell von Mann zu Mann erzählen. Bedingung sei allerdings, dass er schon wisse, was ein Knutschfleck sei. Der Ältere Bruder sagt sofort ja, um sich zumindest die Erklärung dieses Wortes zu ersparen, obwohl er nie dergleichen zu sehen bekommen hat und nur ungefähr ahnt, worum es sich bei solchen Flecken handeln könnte. Aber dann klackt die Klinke, und Schwester Innocentia freut sich, dass die Mutter dieses armen Buben, der vor Fieber bis in die Zehenspitzen glüht, den Weg den Gang hinunter und zurück so flugs geschafft hat. Bestimmt ist sie gerannt. Noch ehe die Tür wieder ins Schloss fällt, wird der Professor von ihr gefragt, ob er herausgefunden habe, was ihrem Sohn auf einmal fehle.
    «Ach, bloß so eine gottverdammte Sommergrippe», knurrt Felsenbrecher,

Weitere Kostenlose Bücher