Roman unserer Kindheit
ihre verächtliche Schnute zog, sobald der Vater zu schwärmen anhob und Frau und Sohn erklärte, wo das schöne Leben, das Leben wie im Paradies zu finden sei. Der schlimmsten Häme hat der Ami-Michi-Vater gefasst die Stirn geboten und stets geduldig, also Stamm für Stamm, Stämmchen für Stämmchen und Stiel für Stiel ausgemalt, welches belebte Inventar der von ihm angestrebte idyllische Fleck umschließen müsse – so lange, bis sich seine Gattin wieder einmal jedes weitere Wort über das von ihr geringgeschätzte Grünzeug verbat. Jetzt jedoch hat der Vielgeschmähte hinter ihrem Rücken Tatsachen geschaffen.
Der Ami-Michi und seine Mutter waren gleichermaßen baff. Obwohl der Vater nach den langen Touren mit dem Laster todmüde nach Hause kommt, obwohl er sich an seinen freien Tagen vor allem dem Schlaf ergibt, dem er in Österreich und Jugoslawien und unten bei den Türken tapfer widerstehen muss, obwohl er gar keine Muße haben kann, etwas derart Großartiges behutsam auf den Weg zu bringen, dann listig weiterzubefördern und schließlich miteinem kühnen Handstreich zu vollenden, ist nun alles perfekt geregelt. Der Überraschungscoup des Vaters machte den Ami-Michi gestern Abend, am Abend der Enthüllung, schwindeln vor Glück. Die Michi-Mutter guckte hingegen, blass und stumm vor Schreck, auf den von ihr so töricht unterschätzten Gatten.
Jetzt sind die Freunde schwer beeindruckt, dass der Ami-Michi einfach so die Schlüssel nehmen durfte. Sein Vater hat es ihm gestern ausdrücklich erlaubt, und die Mutter wagte, obwohl sie ihrem Mann eigentlich aus Prinzip zu widersprechen pflegt, dieses Mal nicht, ein Wort dagegen einzuwenden. Es sind zwei Schlüssel, ein sehr großer mit einem dreizackigen Bart und ein kleiner goldener, den der Michi nun, wo die Karre des Älteren Bruders oben am Rosenhang entlanggeschoben wird, stolz einen Ami-Schlüssel nennt. Die Kinder bleiben kurz stehen, um ihn sich gemeinsam anzusehen. Bereits der Adler, der auf einer Seite die Schwingen spreizt, sieht amerikanisch aus, und weil keiner, nicht einmal unser großer Bruder, die Wörter, die auf der anderen Seite eingeprägt sind, richtig aussprechen, geschweige denn übersetzen kann, ist man sich einig, dass der Ami-Michi recht hat.
Nicht bloß der Schlüssel ist made in USA. Der Vater des Ami-Michi wird in den nächsten Wochen das glücklich Erworbene Bauteil für Bauteil prüfen und, vom Fußboden bis an den Giebel, vielerlei entdecken, was seine Gestalt im fernen Amerika bekommen hat. Die kleinste Schraubenmutter verrät ihre transatlantische Provenienz, sobald kein deutscher Gabelschlüssel sie richtig engbackig fassen kann. Am schönsten amerikanisch finden Vater wie Sohn den hellblau emaillierten zweiflammigen Gasbrenner, dessen Stahl-, Messing- und Gummiteile, laut einem Aluminiumschildchen,eine Firma in Chicago zu seiner mirakulösen Ganzheit zusammenfügte. Leider baumelt der Anschlussschlauch unter der Küchenecke vorerst ins Leere. Der Vorbesitzer hatte sogar die Gasflaschen an seinem Arbeitsplatz in der amerikanischen Kaserne organisieren können. Aber der Vater des Ami-Michi hat schon eine Idee, wie er vergleichbar günstig an den nötigen Brennstoff kommt.
Die Kinder halten die Luft an, als sich der große, der deutsche Schlüssel krachend im Schloss des Tores dreht. Alle finden es ungeheuer, dass sich einer von ihnen nun einfach so, mit einem eigenen Schlüssel, Zutritt zur Schrebergartenkolonie verschaffen kann. Der Vorstand der Kolonisten führt ein strenges Regiment. Seit dem letzten Sommer muss der obere Eingang auf den Hauptweg, der vom Rosenhang bis an den Bahndamm führt, gleich dem unteren an Werktagen stets abgeschlossen sein. Der mehr als mannshohe Außenzaun wird von drei mattgrauen Linien aus verzinktem Stacheldraht gekrönt, dessen Spitzen bei Nacht eventuellen Einbrechern, untertags aber kletternden Buben Hose und Haut aufschlitzen sollen. Keine der Familien im gelben und im grünen Block verfügte bislang über einen Schrebergarten. Der Vater des Ami-Michi hat sich schon vor neun Jahren, als sein Sohn im Schwange war, ohne seinem Eheweib ein Sterbenswörtchen zu verraten, auf die Warteliste setzen lassen.
Nun geht es langsam, hellwach und fromm, den Hang hinunter. Alle Parzellen liegen still hinter den putzigen Innenzäunchen. Der Wolfskopf greift ab und zu verstohlen an eine Gartentür. Obwohl sie selbst ein Liliputaner mühelos überklettern könnte, sind alle abgesperrt. Und als der Wolfskopf
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