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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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schlecht geboxt. Noch immer traute er sich zu, irgendeinen stumpfsinnigen Raufbold mit kurzer Reaktionszeit und sauberer Technik zu verblüffen. Aber sein bestmögliches Reagieren wäre lahm gewesen, verglichen mit dem traumhaft synchronisierten Doppelreflex dieses arbeitsmüden und angetrunkenen Maurers. Die Rechte schnappte um die messerführende Hand. Die Linke bekam aus dem fast unmerklich zurückpendelnden Oberkörper genügend Schwung, um hörbar hart, um Knöchel auf Knochen, gegen das Kinn des Angreifers zu krachen.
    Jetzt, einen Tag danach, versucht der Mann ohne Gesicht am Küchentisch diese Bewegungen verlangsamt nachzumachen. Erst jetzt erfasst er vollends, wie das geschmeidige Ineinanderfließen von Abwehr und Angriff für die nötige Beschleunigung gesorgt hat. Als trüge er ein Tier in sich, ein Wach- und Schutztier, dem von Baustellenschufterei, Alter und Alkohol noch wenig Kraft genommen worden ist, hat der Vater des dünnen Jungen die Attacke auf die Unversehrtheit seiner Körperhülle pariert. Der Messerstecher sackte ohne einen Laut auf die Karten des letzten Spiels. Ein langes Weilchen, noch während ihn die beiden, die mit am Tisch gesessen hatten, durch das Lokal nach draußen und zwei Häuser weiter trugen, noch während sie ihn in der Einfahrt einer Metzgerei auf ein schmales Stück Rasen legten, blieb er bewusstlos und machte nicht den geringsten Mucks. Der Mann ohne Gesicht, der mit ein paar anderen, die zugesehen hatten, mitgelaufen war, hörte, wie man den Besinnungslosen einen unverbesserlichen Mistkerl nannte, erfuhr, dass der Mann erst vor wenigen Tagen aus dem Gefängnis entlassenworden sei und nun bestimmt für länger eingebuchtet würde, falls die Sache zur Anzeige kommen sollte. Zum Glück des Halunken rufe der Wirt die Polizei bloß, wenn es wirklich nicht mehr anders gehe. Zuletzt stand er allein bei dem Weggeschafften. Als dieser sich regte, benommen mit der Linken an die hübsche kleine Nase und dann, aufstöhnend, auch an Mund und Kinn griff, ging er in die Knie und beugte sich über das blasse, schon vor der Ohnmacht mondbleich gewesene Gesicht. Er widerstand der Versuchung, mit den Fingerspitzen auf die seltsam höckrige Stirn zu tupfen, begnügte sich damit, gründlich den Kopf zu schütteln. War es nicht zauberhaft, war es nicht ein Mirakel, wie sich alle männlichen Mitglieder der Huhlenhäusler Sippe in Haar und Haut und Knochen glichen?
     
    Ich habe Händchen, und in ihrer rosigen Stummelsüße wären sie wohl einen liebevollen Blick, vielleicht sogar eine kleine Rede wert. Aber sie fassen nichts. Sie haben nie etwas ergriffen und werden nie ergriffen werden, können sich also nicht mit dergleichen wichtigmachen. Wichtig hingegen ist und bleibt die rechte Hand des Vaters, denn die ist bös zerschnitten. Erst als die beiden Arbeitskumpel, die den Huhlenhäusler wie ein Aufräumkommando hinausgetragen hatten, in die Kneipe zurückgekehrt waren und ihm schulterklopfend gratulierten, hat er vorsichtig die Finger der fest zusammengepressten Rechten geöffnet und prompt die Tischdecke besudelt. So fehlerlos sein Zugriff den Umstehenden auch erschienen war, er hatte die Hand des Angreifers nicht am Gelenk, sondern zu weit oben erwischt und sich dabei die beidseitig geschärfte Klinge in den Handteller gedrückt. Früher, in seinen wirklich schnellen Jahren, wäre ihm, egalob nüchtern, angetrunken oder sturzbesoffen, niemals ein derartiges Missgeschick passiert. Das war die Quittung dafür, dass er sich gegen ein widerstrebendes Gefühl hatte beschwatzen lassen, mit in den Affentanz zu kommen.
    Die Kollegen, denen nun auch nicht mehr wohl in ihrer Haut war, brachten ihn nach Hause. Das Moped ragte, als sie den Berg in die nächtliche Siedlung hochfuhren, schräg aus dem Kofferraum des kleinen Autos. Die beiden halfen ihm noch, es möglichst leise in den Fahrradkeller hinabzuschaffen. Dann musste er, ein sauberes Geschirrtuch aus der Kneipenküche um die verletzte Hand gewickelt, allein vor seine Frau. Im Nachthemd hat sie am Tisch, mit kaltem Kaffee im Glas und dem ganz leise gestellten Spätprogramm des Rundfunks, auf ihn gewartet. Er zeigte die Wunde vor, rückte dann mit dem Rest der Wahrheit raus. Bevor es ihm gelungen war, dem Huhlenhäusler ein respektables Sümmchen abzubluffen, hatte er gut das Doppelte an einen Neger mit großen, spiegelblanken Knöpfen am türkisen Hemd verloren.
    Es wäre Unsinn gewesen, sich ins Bett zu legen und dort dem Pochen der inzwischen

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