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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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dessen Preis stand. Wie früher war das Zeichen der Brauerei, ein Neger mit Turban, der eine riesige nussbraune, schwarzbeschriftete Fahne über dem Kopf schwenkt, auf jedes Blatt des Blocks gedruckt. Der Mann ohne Gesicht las in alphabetischem Automatismus «Mohrenbräu», zählte dann im Kopf zusammen, addierte die Beträge ein zweites Mal, ohne dass die Summe dadurch kleiner wurde.
    Die doppelte Rechnung vollzog sich zu den Eröffnungstakten eines in die Jahre gekommenen Schlagers, der im Arrangement absolut getreuen Version eines amerikanischen Hits. Die Sängerin hatte die Nummer dereinst auch in der Sprache der Besiegten aufgenommen. Vermutlich waren ihr die deutschen Wörter zum Absingen phonetisch umgewandelt aufgeschrieben worden. Nicht anders als vor seiner Waldzeit hatte er den Eindruck einer schlimmen, haltlostaumelnden und hohl schluchzenden Seelenlosigkeit. Zum dritten Mal errechnete er, was ein Familienstammbuch, ein beglaubigtes Duplikat der Heiratsurkunde und die ärztliche Bestätigung der Schwangerschaft kosten sollten. Zumindest dies war nicht gleich geblieben: Die Preise des Stemplers hatten einen deutlichen Sprung nach oben getan. Um alles im Voraus zu begleichen, reichte die mitgenommene Barschaft wider Erwarten nicht aus. Aber weil er den Mann ohne Gesicht von einem früheren Geschäft her als verlässlich kannte, gab sich der Herr der Tinten und Formulare mit einer Teilzahlung zufrieden.
    Gerade als das Geld über den Tisch gegangen war, wurde es in der Nische neben der Tür bös laut. Der Mann ohne Gesicht erkannte an der Schärfung der Stimmen, dass es nicht bei Worten bleiben würde, und weil er ewig lange keinen Kampf gesehen hatte, zog es ihn zusammen mit anderen Neugierigen hinüber an den Ort des Streits. Schon beim Hereinkommen hatte er wahrgenommen, dass dort, nicht anders als früher, Siebzehnundvier um Geld gespielt wurde. Erst jetzt erkannte er einen der Zocker. Hinten an der Wand saß der Mopedfahrer aus dem grünen Block, der Vater des dünnen Jungen, den seine Freunde im Kinderwagen durch die Gegend schoben. Im rauchsatten Licht des Affentanzes sah der Maurer deutlich älter aus als in der Morgenfrische, als schlüge sich die sinnlos hohe Summe der gesetzten Steine, die Schwere des in idiotisch gleich bleibende Form gezwungenen Materials kuliartig gelb in Gesicht und Händen nieder. Und auch die Lider hingen ihm asiatisch tief in die vom Bier matt glänzig gewordenen Augen.
    Sein Gegenspieler, ein eher kleiner, etwas krummrückiger, dabei unübersehbar muskulöser junger Kerl, dem schönes,leichtgewelltes und seidig braunes Haar schräg in die Stirn fiel, hatte offenbar schmerzhaft viel verloren. Jetzt schimpfte er mit schriller Stimme auf den Maurer ein, nicht allzu unflätig, nicht offen drohend, aber mit einer Penetranz, die allen, die Ohren für dergleichen hatten, Ungutes verhieß. Obwohl der Kerl sich dabei des städtischen Dialekts bediente, glaubte der Mann ohne Gesicht herauszuhören, dass sich das hiesige Idiom nicht wirklich bodenständig, nicht von klein auf erworben, sondern irgendwie nachgemacht, fast parodiert anhörte. Dann sah er, wie die linke Hand des unaufhörlich weiterkeifenden Verlierers das eben auf den Tisch geknallte Bierglas losließ und langsam, in Etappen, mit kurzen Ruhepäuschen auf Tischkante und Oberschenkel, nach unten glitt. Sie wanderte am Hosenbein entlang, schlüpfte in die linke Socke, kam, die Fingerspitzen auf einem perlmuttbesetzten Griff, wieder hervor. Der Rest ging flott. Die Klinge des Messers fiel auf Daumendruck aus ihrer schmucken Scheide. Das Klicken, das mit dem Einschnappen der Arretierung verbunden war, ging im Grundlärm des Affentanzes verloren. Die Hand schloss sich fester um den nun hohlen Griff, schwang kurz zurück, um von unten und zugleich von der Seite auf den bereits mehrfach als Betrüger und nun ein einziges Mal als einen verdammten Scheißbetrüger Titulierten zuzufliegen.
    Dem Mann ohne Gesicht fehlte die Geistesgegenwart für einen Zuruf, auch stand er noch einen Schritt zu weit vom Tisch entfernt, um sich mit einem Sprung auf den Messerstecher zu stürzen. Die beiden Männer, die bei den Kontrahenten saßen, sahen die Waffe erst, als sie über die Kante der karierten Tischdecke nach oben stieß, und waren zu überrascht oder zu bierträge, um noch dazwischenzuzucken. DerMann ohne Gesicht hatte als Gymnasiast und dann noch während der Ausbildung auf der Panzerschule mit Freude an der Sache und gar nicht

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