Roman unserer Kindheit
Hin und Her genügt, um sich in die Haare zu geraten. Nur ein Momentchen war er stolz, dass seine Mutter so gut in dieser fremden Sprache herumschreien konnte. Dann sah er das Hemd des Spiegelnegers über einem der Küchenstühle hängen.
Es war so groß, dass sein Saum bis an den Boden rührte. Die Ärmel, die Schulterstücke und die Tasche auf der linken Brust waren durch eine seltsame schwarze Naht, schnurdick und prall emporgewölbt, vom Türkis des Stoffes abgesetzt. Eigentlich sah es aus, als hätte dieses Hemd geschwollene Adern, in denen das Blut des fremden Mannes, vielleicht weil er zu viel davon in Brust und Armen hatte, durch zusätzliche künstliche Bahnen zirkulierte. Der Ami-Michi trat, das Glasvoll mit Zitronenlimo, dicht an das Hemd, schon näherte sich sein linker Zeigefinger dem Stoff, doch dann riet ihm etwas hinten in seinem Kopf, etwas fast schon in seinem Nacken, davon ab, zur Probe auf eine der schwarzen Nähte zu drücken. Gerade als er bloß noch austrinken und sich wieder in den Hof verkrümeln wollte, schnappte sich einer der Spiegelknöpfe – just hierzu waren sie schon die ganze Zeit gerade groß genug gewesen! – seinen Blick.
Jetzt, am Tisch des neu zugezogenen Mannes, überlegt unser Ami-Michi, die angebotenen Gummibärchen kauend, welcher Münze die Knopfgröße entsprach. Ein Glück, dass Sybille ihm, bevor er loszog, das Geldstück in die Hosentasche geschoben hat. Er dreht es im Verborgenen, wendet es um eine der unendlich vielen Achsen, die sich in so eine Scheibe denken lassen. Dann schnauft er erleichtert auf, weil er sich endlich sicher ist: Sie waren größer! Die Knöpfe waren so groß wie die nächste, wie die zweithöchste der vier silbernen Münzen, die es seines Wissens gibt. Ihr Spiegelglas wölbte sich zur Mitte hin. Wie alle anderen war auch der oberste, der Kragenknopf des Negerhemdes, seltsam emporgebläht. Das hielt ihn fest. Er blickte hinein und musste schauend innehalten. Er musste, nach vorn gebeugt, vor Hemd und Stuhl verharren, weil er genau eines seiner braunen Ami-Michi-Augen, von seinem Zwilling vollständig abgetrennt, also wie nie zuvor, wie eine Kugel in einer anderen Kugel gespiegelt sah.
Die Sonne schmettert ihre Hitze über den Rosenhang. Die Dornen an den Rankenbögen der Heckenrosen sind in den letzten Tagen vollends braun geworden und sehen jetzt so scharfkantig und spitz aus, als hätte sie ein Schleifstein ausLicht gewetzt. Sybille schüttelt das restliche Geld in den hohlen Händen. Sie mag das Geräusch, sie mag, wie die letzte silberne Münze und die verbliebenen messingfarbenen in den Handmulden kitzeln. Wieder sollen die Jungen raten, wie viele Münzen mit der Zahl und wie viele mit dem Bild nach oben auf dem grünen Cord der Couch austrudeln werden. Alle finden den neuen Standort des Möbels gut. Irgendjemand hat es ein Stück schräg den Hang hinunter, tief ins Dickicht der wilden Rosen hineingeschafft, fort von der Stelle, wo seine Fracht gelegen hat, wo sich nun ein Stückchen Boden unter schlaffem, gelbem Gras nach oben wölbt. Hierzu hat keines der Kinder etwas gesagt, aber die Karre des Älteren Bruders wurde mit der besonderen Kraft, die eine gemeinsame Erleichterung spendet, in der Schleifspur des Sofas bis an dessen neuen Platz gestemmt.
Sybille lässt die Münzen aus den Händen springen. Erneut hat weder der Schniefer noch der Wolfskopf das richtige Verhältnis vorhergesehen. Die Zwillinge haben ausgesetzt, sie wollen, bevor sie erneut ihr Glück versuchen, erst ausrechnen, wie viele verschiedene Möglichkeiten es bei diesem von Sybille frisch erfundenen Spiel überhaupt gibt. Noch sind sie sich nicht sicher, noch gucken sie einander, ohne ein Wort zu sagen, auf die Finger, die sie beugen und strecken, als wären sie mit unsichtbaren Schnüren zu einer gemeinsamen Abzählmaschinerie verbunden.
«Es gibt sieben Möglichkeiten!», behauptet jetzt der eine, und der andere echot: «Sieben Möglichkeiten sind es!» Sybille kommt das zu wenig vor, und deshalb schaut sie zum Älteren Bruder hin, der neben der Couch in seiner Karre sitzt. «Sechs Münzen, das macht sieben Möglichkeiten!», bestätigt er das Rechenergebnis seiner kleinen Brüder. Sybille glaubtihm das, obwohl sie die fragwürdig niedrige Zahl am liebsten selber auf einem Blatt mit einem Bleistift prüfen würde. Sie hat die Methode, mit der es ginge, ganz klar vor Augen. Sie würde einfach Kreise für die Münzen malen und in die Kreise ein «Z» oder ein
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