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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Triumph ist unserem großen Bruder schnurzegal, dass erdabei als Einziger spürt, wie sich der Schmerz im Fuß herausnimmt, auf eigene Weise ebenfalls einen tollen Spaß zu haben.
     
    Ich weiß schon, was ich weiß. Obwohl ich wunderbar abgeschieden hause, obwohl mein Mund kein Ohr, mein Wort kein Trommelfell erreichen muss, ist mir bekannt, dass man sein Wissen nicht stets bei erster Gelegenheit hinausposaunen darf. Nachdem der Wolfskopf von der Mutter der Brüder erfahren hatte, wo die anderen waren, trottete er Richtung Rosenhang und kam gerade an der Pingpong-Bank vorbei, als Schümer anfing, den Beton der Platte mit einem alten Handfeger von Staub und Laub und Wasser zu befreien. Er rief den Jungen her. Man kennt sich ziemlich gut. Jedes Wochenende schafft es der muntere Drogist, ein paar Buben der Siedlung zum Zuschauen und zum Mittun zu animieren. Immer hat er in seinem karierten Beutel drei Extra-Schläger, damit man ohne Umstände zusammen Rundlauf spielen kann. Und regelmäßig setzt Schümer denselben Preis aus. Er hält zwischen Daumen und Zeigefinger die silberne Münze hoch, die dem gehören soll, dem es gelingt, im Einzel einen Satz mit weniger als zehn Punkten Abstand gegen ihn zu verlieren. Dem Wolfskopf ist das, obwohl er weit besser als der Schniefer, der Ami-Michi und der Ältere Bruder spielt, noch nie geglückt. Aber seit er im Juli Herrn Geistmann zum ersten Mal ganz knapp geschlagen hat, spürt er, dass die Zeit auf seiner Seite der Platte steht. Manchmal hockt er sich einfach auf die Bank und schaut stumm zu und hat so mehr als nur einmal Herrn Schümer, der wirklich etwas draufhat, den einen oder anderen Kniff mit reinem Gucken abgeluchst. Heute hatte er eigentlich vorbeigehen wollen, war nur ein wenig langsamergeschlurft, um ein paar Worte des Manns ohne Gesicht aufzuschnappen, die er dem Älteren Bruder und Sybille weiterberichten wollte, da drückte ihm Schümer einen Schläger, keinen der altbekannten, gründlich abgewetzten, sondern einen unwiderstehlich nagelneuen in die Hand.
    Das feinporige Wickelband des Griffs saugte sich unserem Wolfskopf richtig in die Pfote. Der Schläger spielte fast von allein, und er schaffte es zum ersten Mal, mit nur neun Punkten Rückstand zu verlieren. Damit hatte er sich den ausgesetzten Preis gesichert. Schümer, der immer Münzen in der Hosentasche hat, kam um die Platte herum, der Wolfskopf streckte ihm die flache Hand entgegen, um die Prämie in Empfang zu nehmen. Aber der spendable und kinderliebende Drogist legte ihm erst einmal lachend die Rechte auf die Schulter, gratulierte ihm zum bislang besten Spiel und drückte ihn herzlich an sich. Der Wolfskopf roch den Duft einer guten Herrenseife und spürte, wie Schümer ihr Aneinanderkleben dazu nutzte, das Geldstück mit der Linken ganz tief in die Tasche, in den innersten Sackwinkel seiner in diesem Sommer schon ein wenig zu eng gewordenen beigen Shorts zu schieben.
    Der Mann ohne Gesicht sah Schümers Hand als eine ovale Beule, die an- und abschwoll, unter dem dünnen Baumwollstoff. Geistmann, der in die gleiche Richtung guckte, hörte nicht auf, mit leiser Stimme von dem zu erzählen, was er Schümers Schicksalsprüfung nannte. Eigentlich wunderte es ihn selbst, dass er während des Spiels ausgerechnet damit angefangen hatte. Aber nun musste er, als wäre er dabei gewesen, vom fatalen Unfall der Drogistengattin und von ihrem zähen Sterben im Krankenhaus berichten. Drei Tage und drei Nächte sei Freund Schümer an dieser schrecklichenBrüstung, am hochgeklappten Gitter des Koma-Betts, gesessen. Die Schwestern und die Ärzte hätten ihm zugeredet, sich doch ein paar Stunden zu Hause auszuruhen. Aber an Evelyns immer wieder bedrohlich abflachendem, manchmal elend lange aussetzendem Schnaufen habe Schümer erraten, wie schnell sie ihn jederzeit verlassen könnte.
    Der Mann ohne Gesicht nickt übertrieben langsam. Längst versteht er sich darauf, die Kopfbewegung pantomimisch zu übertreiben, sobald ihm wieder einmal eine derartige Geschichte gegen den frischen Mull, mitten ins weiße Quadrat hinein, erzählt wird. Jetzt müsste Evelyn Schümer sterben. Aber Geistmanns Sermon überspringt wie der hüpfende Tonarm eines Plattenspielers Tod und Beerdigung und schildert stattdessen mit schnell anschwellender Freude und viel Liebe zum Detail die Renovierung der Drogerie. Noch immer bewundert Horst Geistmann den Willen des Witwers zur grundsätzlichen Umgestaltung. An zwei, drei Wochenenden sei er dem nun

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