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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Gesetzeshüter gelten.
    Herr Böhm wird heute später zu Hause erwartet, weil er direkt vom Schreibtisch aus auf den Fußballplatz gegangen ist. Dort springen eben jetzt knisternd und knackend die Flutlichtlampen an. Sie sind ganz neu, das Gaswerk hat sie gestiftet, und alle Spieler halten andächtig inne, als müsstedas noch ungewohnte Weißgelb erst einmal wie eine kostbare Imprägnierung in den Rasen und in die Falten der Trainingsklamotten sickern, bevor es mit dem Einspielen weitergehen darf. Der kleine Gas-Böhm sieht alle seine Vereinskameraden den vierflügeligen Libellenschatten werfen und freut sich besonders daran, dass die Lampen an den Enden der vier stählernen Masten auch seinem kurzen Körper die langgezogenen grauen Ellipsen an die Knöchel heften. Da kommt die Kugel. Er nimmt sie mit der Hacke mit. Seitdem er spielt, also schon immer, ist er sich sicher, dass der Ball ihn liebt. Der Ball kann gar nicht anders als ihn lieben, weil er sein Leder wie kein Zweiter mit den Füßen streichelt. Und wenn er an der Außenlinie abgeht, kann ihn keiner aus der Mannschaft, auch keiner von den Jüngeren halten. Böhms Säbelbeinchen machen Meter. Schon schlenzt er die erste seiner von den Mittelstürmern hochgeschätzten Bananenflanken vor das Tor.
    Unser großer Bruder ist froh, dass seine Karre bereits auf dem Rundweg stand und sein starres weißes Bein in die richtige Richtung wies. Der Wolfskopf und der Ami-Michi konnten sich, von den Wäschestangen kommend, in vollem Lauf gegen die Schiebestange werfen, und als sie in den Drosselgrund einbogen, waren sie schon so schnell, dass er sich, so weit es nur ging, über den Rand des Kinderwagens lehnen musste, damit sie nicht, in Schräglage und driftend auf den kurveninneren Rädern, über den Randstein rutschten. Sybille und der Schniefer sind ihnen ein Stück voraus. Sybille, die eigentlich nicht gerne rennt, verwandelt sich in eine wahre Sprintkanone, sobald sie schnell sein muss. Jetzt ist ihr klar, die kleine Schwester, die sie am Ende der Straße, vor der Silhouette der alten Nagelbuche in die besondereDunkelheit des Spielplatzgeländes abdrehen sieht, darf ihr nicht entwischen, wenn es nicht Riesenärger mit dem Vater geben soll.
    Aber im Nu ist die rasant begonnene Jagd vorbei. Auf Höhe des türkisen Blocks packt der Schniefer Sybille am Kleid. Die ratternde Zwillingskarre wird von den Schiebenden so rabiat gebremst, dass der Ältere Bruder weit nach vorn rutscht und seiner Freundin das geschiente Bein gegen die Wade rammt. Sybille bleibt keine Muße, sich um das Wehtun zu kümmern: Der böse Hof hat ihnen einen Widersacher in den Weg gespuckt. Das riesengroße Herrenfahrrad, das ihnen, quer über dem Gehsteig, den Weg verstellt, ist so endgültig verrostet, dass kein Fingerbreit an Felge oder Lenker mit einem Restchen Chrom an vergangenen Glanz erinnern kann. Die Freunde wissen, die Huhlenhäusler sind arm und stark zugleich. Dieses Rad holt sich der schlimmste Bengel der Sippe gewiss erst aus dem Keller, wenn es dunkelt. Bei Tag müsste er sich vor den braven Kindern für das garstige Ungetüm in Grund und Boden genieren, aber jetzt hat sich das Blatt gewendet. Das Schandfahrrad ist Nachtfahrrad geworden.
    Der Ältere Bruder weiß, warum der Wolfskopf und der Ami-Michi ihn nun ein letztes Stückchen weiterschieben. Seine Karre rollt zwischen Sybille und den Schniefer, die wortlos einverständig einen Schritt beiseitegetreten sind, damit er den entscheidenden Meter nach vorne kommt. Sie müssen nicht sagen, was sie nun von ihm erwarten. In echtem Freundesglauben hoffen sie, er möge auch jetzt nicht um das rechte Wort verlegen sein. Er soll mit diesem Nachtfahrradführer, mit dem Weißling, verhandeln. Keiner von ihnen hat je mit einem seiner Brüder oder Cousins gesprochen, wie man mit Kindern aus den vorderen Blöcken redet. Manschreit den Huhlenhäuslern allenfalls vom Fahrrad aus ein Schimpfwort zu, oder man lässt sich über die Straße hinweg beleidigen, wenn man mit einem schützenden Erwachsenen unterwegs ist. Das hohe, böse Huhlenhäusler-Heulen sirrt im Kopf, wenn man vor ihnen wegrennt. Und kracht dem Eingeholten und Herumgerissenen die Faust auf Mund oder Nase, ist es mit Höhnen, Schmähen, Drohen eh vorbei. Jetzt aber sind auf einmal Frage und Antwort, Rede und Gegenrede angeraten.
    «Lass uns vorbei! Wir müssen Sybilles kleine Schwester aus dem Spielplatz holen. Gleich ist es dunkel. Dann darf sie nicht mehr allein dort unten sein, sonst

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