Roman unserer Kindheit
verständlich und gewitzt, wie es die Kunden an ihm mochten. Schümer zeigte seinerseits, dass er technisch nicht ganz unbeschlagen war. Und währenddessen hatte man, dieAtemstöße kreuzend und Stimme gegen Stimme setzend, endlich Gelegenheit gefunden, einander genauer zu taxieren. Zuletzt, das Foto der richtigen, der optimalen, der birkenfurnierten Fernseh- und Audiotruhe lag schon ein Weilchen aufgeschlagen, war Lutschers jüngerer Stiefsohn hereingestürmt, erhitzt und verschwitzt von einem morgendlichen Fußballspiel und wütend über das Ergebnis. Lutscher hieß ihn willkommen, indem er bloß leise seinen Namen sagte, und Erich Schümer konnte gar nicht anders, als den bezaubernd aufgeregten Bengel in einem ähnlich milden Tonfall genauer nach dem verlorenen Match zu fragen. So schloss der zornige Knabe, ohne davon auch nur ein Körnchen zu begreifen, den Bogen und machte zwischen dem Drogisten und dem Elektrofachmann alles klar.
Die Kinder sitzen im Trockenen, unter einem Dach, zwischen vier engen Wänden und von keinem missgünstigen Erwachsenenauge überwacht, von keiner hässlich behaarten Ohrmuschel belauscht. Das haben sie zwei Müttern zu verdanken. Der Mutter des Ami-Michi, über die Annabett Böhm sagt, dass sie eventuell die feurigste Frau im Hof, aber trotz ihres flammenden Begehrens nicht die allerhellste sei, ist inzwischen aufgegangen, dass das ungeliebte Schrebergartenhäuschen selbst für sie einen Vorteil hat. Ab sofort bedeutet es die Möglichkeit, den lästigen Sohn auch bei Wind und Wetter länger loszuwerden. In gleich zwei Einkaufstaschen hat sie allerlei doppelt vorhandenen Küchenkram und einiges an Lebensmitteln eingepackt und ihrem Hans-Michael aufgetragen, es zum Rosenhang zu tragen und dort schön ordentlich in den Regalen und in den beiden Schränkchen der Laube zu verstauen. Der Ami-Michi hat zu allem lammfrommgenickt, weil er sich im Kopf schon ausmalte, wie er den Auftrag in seinem Sinne umgestalten würde.
Als Erstes marschierte er zum grünen Block und klingelte bei den Brüdern. Deren Mutter drückte er die Henkel der beiden Taschen gleich an der Wohnungstür zur Beurteilung ihres Gewichts in die Hände. Prompt prophezeite sie ihm, er werde die schweren Dinger auf dem langen Weg den Drosselgrund hinunter, schräg über die Spielplatzwiesen und dann bis an das Ende der Gartenkolonie, ein paarmal auf pitschnassem Boden absetzen müssen, was seiner Mutter doch nicht recht sein könne. Die eine Tasche, die aus weißem Bast geflochtene, sei doch noch nagelneu. Die Zwillinge, die zur Tür gekommen waren und rechts und links an den Hüften ihrer Mutter vorbei auf den Ami-Michi guckten, lasen ihrem Freund den Plan von der Nasenspitze ab. Während der eine vorschlug, ihm doch den Kinderwagen zum Transport zu borgen, sprang der andere schon zurück in die Küche, wo der Ältere Bruder mit Sybille und deren kleiner Schwester Karten spielte, und fragte, ob der mit dem Verleihen seiner Karre einverstanden sei.
Sybille gab dem Ganzen dann den letzten Dreh. Sie heuchelte, sie wolle dem armen Michi helfen, die Sachen, die ihm seine Mutter mitgegeben habe, vernünftig zu verräumen. Als einem Jungen könne ihm dies nämlich nie und nimmer allein gelingen. Und plötzlich wollten alle mitgehen und mitentscheiden, wo der Dosenöffner, die alte Zuckerdose und der Kaffeefiltertrichter aus angeschlagenem Porzellan einen neuen Hänge-, Liege- oder Stellplatz finden sollten. Die Mutter gab nach. Während die Zwillinge schon in ihre Gummistiefel fuhren, suchte sie unter der Spüle nach einer möglichst großen Plastiktüte, um den Fuß des Älteren Bruders regensichereinzupacken. Sie seufzte übertrieben laut dazu, sie zog, als sie die Tüte über den Verband schob, sogar noch ärgerlich die Stirn in Falten. Keiner ihrer Söhne sollte merken, wie gern sie die nun fälligen fünf Minuten Aufbruchswirrwarr gegen zwei, drei oder gar vier verheißungsvoll heraufdämmernde Stunden Alleinsein tauschte.
In der Laube lauerte die Wärme der letzten Tage. Die Feuchtigkeit in den Kleidern der Freunde hat sich so vollständig verflüchtigt, als wäre das Schrebergartenhäuschen eine Trockenkammer für nass gewordene Kinder. Alle sind sich einig, dass es hier amerikanisch riecht. Die Zwillinge behaupten, auch die Patentante ihres großen Bruders, die in der Kaserne der Amerikaner einen Zeitschriften- und Buchladen betreibt, rieche genauso, wenn sie direkt von ihrer Arbeit komme. Erst nach zwei, drei Tassen
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