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Roman unserer Kindheit

Roman unserer Kindheit

Titel: Roman unserer Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Klein
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Und eben hat dieses spöttisch hohe Männerorgan ihr gekonnt beiläufig versichert, die doppelte Mutterschaft habe den Klang ihrer Worte noch wärmer und voller, also noch verführerischer werden lassen.
    Annabett Böhm weiß ganz genau, wie lausig dieses Kompliment ist. Es taugt gleich allen früheren Schmeicheleien, gleich allen, die noch folgen mögen, nicht mehr als der, dem es eben gewohnt geschmeidig über die Lippen ging. Er ist und bleibt ein Windhund. Aber es ist kein bisschen wichtig, ob er noch derselbe Windhund ist. Das Wichtige kommt jetzt. Nun rückt er endlich mit dem heraus, worauf es ankommt. Jetzt tut er kund, er sei endlich wieder im Lande, habe am ersten August in einem Altstadthäuschen eine winzige Mansardenwohnung bezogen. Nur zehn Minuten brauche er bis zum größten Bürobedarfsgeschäft der Stadt, in dessen Werkstatt er von morgens bis abends Registrierkassen, Rechenmaschinen, mechanische und elektrische Schreibmaschinen repariere. So sklavenbrav könne er sein. Natürlich sei der Büromaschinenoberfritze ganz begeistert von seinen Künsten. Annabett, seine süße Anni, wisse ja, dass er alles wieder zum Laufen bringe. Egal, ob sich im fraglichen Ding ein Dutzend oder hundert Rädchen drehten, egal, ob in der Maschinedas komplette Gestänge oder bloß ein einziges Knöpfchen klemme, er lasse das Ganze wieder rattern. Er sei ihr auch nicht böse, dass sie mit seinem besten Fußballkumpel, dem Zwerg, aufs Standesamt marschiert sei. Schließlich habe er sich bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht. Aber das ältere Mädchen, wie heiße sie gleich wieder, könne doch nicht vom Zwerg sein. Heraus damit! Die Große segle doch unter falscher Flagge. Die Erstgeborene sei doch ein Kind der Liebe, ein Früchtchen des Schrebergartens, in dessen Laube sie endgültig zueinandergefunden hätten. Diese Sybille sei doch gewiss von seinem Stamm.
    Sybille spürt es. Sybille lehnt an einer der schon dämmerungskühlen Wäschestangen und weiß, dass der Moment, in dem ihre Mutter nach draußen hätte kommen müssen, glücklich verpasst ist. Aber sie kann sich nicht richtig darüber freuen und reibt den Rücken am verzinkten Eisen, weil es sie unerträglich heftig zwischen den Schulterblättern juckt. Und dann dreht sie sich um, sie muss, egal, ob sie dergleichen bei anderen eklig findet, mit der Zungenspitze an die Stange tupfen, genau so, wie es die kleinen Kinder immer wieder machen, obwohl die Mütter des Hofes einhellig behaupten, die Wäschestangen seien von oben bis unten voll mit Bazillen. Sybilles kleine Schwester sieht Sybille lecken. Und schon spurtet sie los. Sie rennt und plärrt etwas, dessen Wortlaut keiner der Freunde versteht. Alle schauen ihr hinterher und sehen, wie sie am zweiten und am ersten Eingang vorüberstürmt, aus dem Rundweg auf den Gehsteig des Drosselgrundes biegt und im Nu um den grünen Block herum verschwunden ist.
    Sybilles kleine Schwester ist der Liebling ihres kleingewachsenen Vaters. Ihr lässt er jeden Unfug durchgehen, undoft genug kreidet er ihre Missetaten der Großen, der armen Sybille an, bloß weil die zufällig dabei war und angeblich nicht richtig aufgepasst hat. Herr Böhm ist Angestellter. Als einziger Vater im grünen Block marschiert er mit einer Angestelltenaktentasche und eine volle Stunde später als die anderen Männer zur Bushaltestelle in den Kreuztöterweg hinüber. Keines der Kinder weiß, welches Tun ihn im Verwaltungsgebäude der Städtischen Gaswerke erwartet. Aber der Ältere Bruder hat, als hätte damals eine mildere Sonne über dem Hof geschienen, noch merkwürdig honiggelb verschwommen vor Augen, wie Herr Böhm früher, eine schwarze Umhängetasche an der Hüfte, die Holzkästen der Gaszähler aufschloss, den Verbrauch ablas, die Kosten irgendwie berechnete und bei den Müttern in Scheinen und Münzen abkassierte. Längst kommt die Gasrechnung per Post. Aber aus der anderen Zeit rührt her, dass viele, eigentlich fast alle Erwachsenen Herrn Böhm, sobald die Rede auf ihn kommt, mit einer seltsam zwiespältigen Achtung den kleinen Gas-Böhm nennen. Der kleine Gas-Böhm habe den Huhlenhäuslern oder einer anderen säumigen Familie im türkisen Block das Stadtgas abgedreht, so hat es einst, in der Anfangszeit der Blöcke, über ihn geheißen. Und die geringe Körpergröße des städtischen Angestellten verband sich ähnlich schlüssig mit seiner speziellen Machtbefugnis, wie kleingewachsene Polizisten fast zwangsläufig als besonders nickelige

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