Roman
Regal. Warum sollte sie also jetzt jemanden wie Tom abweisen, der kein Egoist war, keine Probleme mit sich herumzuschleppen schien, der nicht ständig von seiner Ex faselte, keinerlei problematischen Anhang in Form von pubertierenden Kindern im Schlepptau hatte und der sie und offenbar keine Jüngere wollte? Das wäre der totale Irrsinn, so viel stand fest. Tom nahm in der Kategorie Traummann den obersten Platz ein. Aber abgesehen vom Altersunterschied muss die Sache noch einen Haken haben, dachte Kristina. Den gab es schließlich immer. Sie hatte mehrmals mit Rita über ihre Zweifel gesprochen, und gemeinsam hatten sie sich diverse Szenarios ausgemalt.
„Vielleicht ist er ein Bigamist“, hatte Kristina in Erwägung gezogen, „der in jeder Stadt eine andere sitzen hat. Und ich bin nur eine von vielen.“
„Oder er ist ein gesuchter Heiratsschwindler, der ältere Damen wie dich einlullt, bis sie ihm verfallen sind, und dann nimmt er ihnen ihr gesamtes Hab und Gut ab“, hatte Rita den Faden fröhlich weitergesponnen.
„Oder er ist ein Frauenmörder, der mich zu seinem nächsten Opfer auserkoren hat.“
„Genau“, hatte Rita ihr beigepflichtet. „Und sobald er genug von dir hat, verpasst er dir Betonschuhe und versenkt dich in der Isar. Aber weißt du was, Kristina, das sind alles nur Hirngespinste. Schmeiß endlich deine Skrupel über Bord und stürz dich kopfüber ins Abenteuer. Den Rausch der Liebe, die lodernde Leidenschaft, die sexuelle Ekstase, das alles darfst du dir einfach nicht entgehen lassen.“
„Klingt wie aus einem Lore-Roman, so wie du das sagst.“
Rita hatte nur zustimmend genickt. „Und in denen gibt es immer ein Happy End!“
14
Die Abendsonne hing tief über dem See und tauchte die Landschaft in goldenen Schein. Ihr Licht zauberte ein Glitzern auf den See. Ein Lüftchen blies übers Wasser und kräuselte die Oberfläche. Kristina saß auf dem Holzsteg, der vom Ufer in den See ragte, und ließ die Beine herabbaumeln. Das ist der perfekte Augenblick, dachte sie. Sie fühlte sich leicht, frei und glücklich. Es war eine Art schwereloser Zustand.
Sie blickte an sich hinunter und betrachtete zufrieden ihre Oberschenkel. Seit Tom in ihr Leben getreten war, hatte sich nicht nur ihr Leben total verändert. Sie hatte außerdem vier Kilo abgenommen, ohne etwas dafür zu tun – und ohne es überhaupt zu merken. Erst als sie gestern Abend beim Packen für diesen Wochenendtrip ihren Badeanzug hervorgekramt und anprobiert hatte, war es ihr aufgefallen, und sie hatte vor Freude einen Bauchtanz vor dem Spiegel vollführt. Der Badeanzug saß perfekt. Luft und Liebe waren nun mal die beste Diät. Wer brauchte da einen Dr. Sommerfeld? Sie seufzte selig. Könnte ich diesen Moment nur festhalten! Und schon war er verschwunden. Sie hörte Tom näher kommen, der zwei Gläser in den Händen hielt.
„Zwei Hugos“, erklärte er. „Prosecco, Limette, Minze und Holunderblütensirup auf Eis. Der perfekte Sommerdrink. Für den perfekten Augenblick. Für die perfekte Frau. Für dich, Süße.“ Er setzte sich neben sie auf den Steg und reichte ihr ein Glas. „ Salute, Kris.“
Niemand hatte sie mehr so genannt seit ihrer Kindheit. Damals hatte sie diese Kurzform gehasst, doch jetzt gefiel sie ihr. Tom war sehr erfinderisch in seiner Namensgebung für sie. Mal nannte er sie Kris oder Krissi, Kristinchen vor allem dann, wenn sie sich kindisch benahm. Oder Krikula, wenn sie sich aufregte. Kriselda nannte er sie, wenn sie auf den Altersunterschied zu sprechen kam, und Dernier Kri, wenn sie ein neues Kleid trug.
„Auf dich, Kris!“
Sie stießen an, brachten ihre Gläser zum Klingen und nahmen einen Schluck.
„Lecker, dieser Hugo“, stellte Kristina fest.
„So lecker wie du.“
Sie kuschelte sich an ihn. So saßen sie eine Weile nebeneinander, blickten aufs Wasser hinaus und schwiegen. Kristina genoss dieses Zusammensein. Ein wohliger Seufzer entrang sich ihrer Kehle. „Schöner geht es nicht“, schwärmte sie.
„Stimmt.“
Kristina seufzte. „Ich würde diesen Moment gerne festhalten.“
„Warum festhalten? Die Ewigkeit besteht aus lauter Augenblicken wie diesem. Und das hier können wir jederzeit wiederholen. Aber es gibt ja noch so viel mehr, was wir zusammen erleben können. Wenn du …“
Sie verschloss seine Lippen mit ihrem Zeigefinger. „Pscht.“
„Ich bin ja schon still“, lenkte Tom ein.
Kristina dachte an die Tage, die nun vor ihnen lagen. Ein ganzes Wochenende, das sie
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