Romana Exklusiv 0186
sich bei ihrem Hineinblicken in einen Zustand der Selbsthypnose. Es war eine Art Meditation, und Bliss war Zeugin einiger merkwürdiger Offenbarungen geworden, welche die Kunden in einen euphorischen Zustand versetzt hatten.
Euphorie erhoffte sie sich nicht, aber sie musste gesagt bekommen, wie sie den Dämon, den Justin heraufbeschworen hatte, bewältigen konnte. Sie war von ihm besessen und wollte wissen, wie sie sich von ihm befreien konnte.
„Weil Sie schon seit einiger Zeit für mich arbeiten“, sagte Madame, den Blick auf die Kugel gerichtet, „weiß ich sehr wohl, dass Ihr Bruder Justin Ihnen noch andere Sorgen gemacht hat, mit denen Sie stillschweigend fertig geworden sind. Aber diesmal ist es nicht so, wie? Erzählen Sie mir von jenem anderen, etwas außergewöhnlichen Mann.“
Bliss fuhr erschrocken zusammen. „Woher … woher kennen Sie ihn?“
„Es reicht wohl, wenn ich sage, dass ich ihn kenne, mein liebes Kind.“
„Sein Aussehen meinen Sie?“
„Nein. Vermitteln Sie mir einen Eindruck von seiner Per sona.“
„Nun, Madame, dann will ich es so sagen: Wenn ich ihm ins Herz treten könnte, müsste ich hinterher meinen Fuß in Gips tragen.“
„Aha!“ Madame warf ihr einen kurzen Blick zu. „So schlimm ist er also, ja?“
„Ich glaube schon“, antwortete Bliss.
„Er hat keine guten Seiten, wollen Sie mir das sagen, Bliss?“
„Nun – nicht ganz.“
„Sie meinen, Sie würden ihn nicht als schlechten Menschen bezeichnen?“
„O nein!“ Diese Andeutung schockierte Bliss aus irgendeinem Grund.
„Offensichtlich übt er aber einen gewissen Einfluss auf Sie aus, sehe ich das richtig?“
Bliss neigte den Kopf. Vermutlich wäre es einfacher gewesen, bei Madame Lilian ihren ganzen Sorgen Luft zu machen, aber seltsamerweise gefiel ihr diese theatralische Sitzung. Sie passte zu jener Begegnung im Club Cassandra … zu der Dreistigkeit eines Lukas Angelos, ihr zu sagen, sie müsse ihn heiraten. Sie kam sich vor wie gefangen in einem unheimlichen Traum, einem jener Träume, in denen man sich verirrt und seinen Weg nicht mehr zurückfindet.
„Moment mal.“ Madame richtete den Blick ihrer jadegrünen Augen auf die glänzende Kugel, und jeglicher Ausdruck schien aus ihrem Gesicht verschwunden, während ihre Gedanken schweifen durften. Im Raum war es ganz still, denn Madames Wohnung lag so nahe am Westminster, dass Big Ben ihre Uhr war. Bliss beobachtete sie und spürte das Pochen ihres Herzens. Jetzt verstand sie, weshalb die Menschen mit ihren Sorgen zu jemandem wie Madame kamen. Ein wenig Magie half, wenn man nicht mehr weiterwusste.
„Ihr Bruder hat Schulden bei diesem Mann“, rief Madame aus. „Sie müssen ihm das Geld zurückzahlen.“
Bliss hob die Hände und presste sie ans Gesicht. „Wie machen Sie das, Madame?“, stieß sie atemlos hervor.
„Ich sollte Sherlock Holmes heißen, nicht wahr?“, antwortete Madame trocken.
Bliss lächelte. „Nach zwei Jahren bei Ihnen dürfte ich nicht so überwältigt sein, aber Sie haben mir bisher noch nie die Zukunft vorausgesagt.“
„Vielleicht, liebes Kind, weil jeder die Zukunft einer jungen Frau in deren Gesicht lesen kann. Was verlangt dieser Mann von Ihnen als Art der Rückzahlung?“
„Wie haben Sie das bloß erraten, Madame?“
„Ganz einfach, meine liebe Bliss. Sie haben einen reizenden, aber nichtsnutzigen Bruder, der an Stätten des Glücksspiels arbeitet. In seinen Karten stand, dass er eines Tages in ernsthafte Schwierigkeiten geraten und von Ihnen erwarten würde, ihm aus der Patsche zu helfen. Bei Ihrem Versuch, das zu tun, sind Sie auf ein Problem gestoßen, das Ihnen eine schlaflose Nacht bereitet hat. Den jungen Leuten merkt man es an, wenn sie schlecht geschlafen haben, wir älteren sehen sowieso klapprig aus. Und weil für gewöhnlich junge Männer am Horizont aufziehen, um jungen Mädchen den Schlaf zu rauben, war nicht allzu viel Weissagung nötig.“
Madame schwieg und sah Bliss in die Augen. „Was verlangt er von Ihnen – mit Ihnen zu schlafen?“
„Mehr als das“, sagte Bliss heiser. „Er sagt, ich soll ihn heiraten, sonst landet Justin im Gefängnis. Justin hat schreckliche Angst, und ich weiß einfach nicht, was ich tun soll – ich bin mit meiner Weisheit am Ende!“
„Handelt es sich um eine große Summe?“
Bliss sagte ihrer Arbeitgeberin lediglich, wie viel Justin im Club unterschlagen hatte. Aus einem seltsamen Grund brachte sie es nicht fertig, Madame Lilian den Namen des Mannes zu
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