Romana Exklusiv 0186
hatte.
Plötzlich erinnerte er sich daran, dass er seiner Mutter versprochen hatte, sie an diesem Abend vor sieben anzurufen. Sie hielt sich in dem Apartment der Familie in Sevilla auf, solange ihr Mann im Krankenhaus lag. Er gestand sich reumütig ein, dass er in den letzten Stunden andere Dinge im Kopf gehabt und seine Mutter vergessen hatte.
Sie würde glauben, der Gesundheitszustand seines Vaters interessiere ihn nicht. Seit Julio krank war, war Elena de Montoya überempfindlich. Oft fühlte sie sich beleidigt oder verletzt, obwohl sie gar keinen Grund dafür hatte. Vielleicht befürchtete sie, sie würde durch die Krankheit ihres Mannes an Autorität verlieren oder Enrique würde sie nicht mehr respektieren, falls Julio starb. Das war natürlich absurd.
Seit Julios Herzanfall vor einigen Monaten stellte sie immer mehr Ansprüche an ihren Sohn und seine Zeit. Enrique war klar, dass er unter den Umständen kaum etwas anderes erwarten konnte. Dennoch fiel es ihm nicht leicht, seine eigenen Interessen mit denen seiner Eltern in Einklang zu bringen.
Neben dem Säulengang des Gebäudes, in dem man früher die Wagen und Geräte untergebracht hatte und das jetzt als Garage diente, stellte er seine Limousine ab. Er musste sich entscheiden, was er machen wollte. Seiner Mutter wollte er jedenfalls noch nicht erzählen, was er erfahren hatte.
Er nickte dem Mitarbeiter zu, der aus dem Gebäude kam, damit dieser sich um das Auto kümmerte. Dann ging er mit großen Schritten über den Vorhof auf den prunkvollen Eingang des Palasts zu und eilte durch die Eingangshalle mit der hohen Decke. Dies war der älteste Teil des Palasts im maurischen Stil, und hier war die Vergangenheit noch lebendig. Der Name Tuarega ging auf die Sarazenen zurück, die diesen Teil Spaniens während der Kreuzzüge erobert und besetzt hatten, und nicht auf den Volksstamm in der Sahara, wie Enrique früher einmal geglaubt hatte.
Die Sarazenen waren von spanischen Eroberern vertrieben worden, und man hatte den Palast in vergangenen Jahrhunderten erweitert. Er war sehr geräumig, hell und kühl, und viele Handwerker und Künstler waren damit beschäftigt, ihn in Stand zu halten und die ursprüngliche Architektur wieder herzustellen und zu erhalten.
Den Innenhof, in dem Enrique am Morgen gefrühstückt hatte, ließ er links liegen und ging die Marmortreppe hinauf auf die Galerie. Dort begegnete er einem der Angestellten, der ihn fragte, ob er etwas essen wollte. Doch dafür interessierte Enrique sich momentan nicht. Zuerst musste er seine Mutter anrufen, dann musste er nachdenken.
Cassandra war sehr verschlossen und unfreundlich gewesen. Sie hatte ihm noch nicht einmal erlaubt, mit David zu reden, weder allein noch in ihrem Beisein. Stattdessen hatte sie den Jungen mit sich in die Pension gezogen und hoffte wahrscheinlich jetzt, nie wieder einem Mitglied der Familie de Montoya zu begegnen.
Das wäre ziemlich naiv, sagte Enrique sich und öffnete die Tür zu seinem Apartment. Dann löste er die Krawatte und legte sie achtlos weg. Was auch immer er empfand, er konnte die Tatsache nicht ignorieren, dass David sein Neffe war. Zum Abschied hatte er dem Jungen versprochen, sie würden sich bald wieder sehen. Doch Cassandra hatte kühl entgegnet: „Nur über meine Leiche.“
Es war ihm jedoch völlig egal, ob Cassandra es ihm leicht oder schwer machte. David war ein de Montoya, und früher oder später würde er zu der Familie seines spanischen Vaters gehören.
3. KAPITEL
Cassandra stützte das Kinn in die Hände und betrachtete ihren Sohn über den Tisch hinweg. Sie war zornig, aber sie konnte ihn auch irgendwie verstehen.
Immerhin war es nicht seine Schuld, dass sie ihm nie die Wahrheit über seine Verwandten väterlicherseits gesagt hatte. Sie hatte es immer vermieden, über die Familie ihres verstorbenen Mannes zu reden, und gehofft, David wäre damit zufrieden, dass sie mit den de Montoyas keinen Kontakt haben wollte. Der Junge hatte trotzdem eine große Familie, denn Cassandra hatte zwei Schwestern, die beide verheiratet waren und Kinder hatten. Doch die vielen Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen und sein Großvater mütterlicherseits reichten ihm offenbar nicht.
David war wie sein Vater, er war sehr intelligent und gab sich nie mit Ausflüchten zufrieden. Cassandra hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass er Antonios Pass finden und Julio de Montoya schreiben würde, ohne es ihr zu erzählen. Wie sollte sie ihm das verzeihen?
Sie seufzte.
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